Kolporteure auf der Straße

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Zeitungskolporteure werden ausgebeutet: Durch den Konkurs der "Astropress" erhält diese unendliche Geschichte eine weitere Facette.

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Zeitungskolporteure werden ausgebeutet: Durch den Konkurs der "Astropress" erhält diese unendliche Geschichte eine weitere Facette.

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Am 2. Februar war es soweit: die Geschäftsleitung der "Astropress", des zweitgrößten Wiener Zeitungskolportage-Unternehmens, stellte den Konkursantrag. Robin Weinber, ehemaliger Mitarbeiter der Mediaprint-Kolportage und seit 1990 Chef einer eigenen Firma - damals noch "Austropress" -, war pleite gegangen - allerdings nicht allein: mit sich riß er rund 300 Straßenkolporteure, die von ihm beliefert worden waren und dafür "Kautionen" in einer geschätzten Gesamthöhe von drei Millionen Schilling bei "Astropress" hinterlegt hatten. Abgesehen davon, daß sich diese "Kautionen" in Höhen von bis zu 100.000 Schilling pro Standplatz bewegten, hatte sie Robin Weinber entgegen den Bestimmungen des Kautionsschutzgesetzes nicht auf ein eigenes Konto gelegt, sondern seinem Unternehmenskapital einverleibt. Für die meisten Kolporteure hatte Weinber als "Sparkasse" fungiert, der sie zwangsweise ihr gesamtes, oft zusammengeliehenes, Kapital anvertraut hatten.

Der Rechtsvertreter der Kolporteure, Anwalt Heinrich Vana, hat nun das Sozialministerium aufgefordert, den Kolporteuren Entschädigungen aus dem Insolvenz-Entgeltsicherungsfonds zu zahlen. Damit verlangt er nicht nur finanzielle Wiedergutmachung, sondern eine politische Entscheidung, die sich das Sozialministerium schon seit Jahren weigert zu treffen: Kolporteure als Dienstnehmer anzuerkennen und sozialversicherungsrechtlich dementsprechend zu behandeln, das heißt als sozialversicherungspflichtig nach § 4,1 ASVG. Anspruch auf Gelder aus dem Insolvenz-Entgeltsicherungsfonds haben nämlich nur Dienstnehmer eines in Konkurs gegangenen Unternehmens.

Klare Gerichtsurteile Akt 1 des Dramas um den arbeits- und sozialrechtlichen Status der Zeitungskolporteure datiert aus den späten 80er Jahren, als der ägyptische Kolporteur Anwar Kamal einen Musterprozeß gegen die Mediaprint anstrengte. Um eine Entscheidungsbasis zu schaffen, gab der Sozialminister persönlich eine Studie in Auftrag, die 1992 zum eindeutigen Ergebnis kam, daß Kolporteure in abhängigen Arbeitsverhältnissen stehen und daher als Dienstnehmer und nicht als Selbständige zu betrachten sind. 1995 urteilte der Verwaltungsgerichtshof: Kolporteure sind Dienstnehmer. Das Sozialministerium reagierte nicht. Es wies die Krankenkasse nicht an, den Anträgen Hunderter Kolporteure stattzugeben, und die Krankenkasse selbst sah keine Notwendigkeit, von sich aus tätig zu werden. Das neue Argument des Sozialministers: die Vertragsgrundlage bei der Mediaprint habe sich geändert, das Urteil sei daher "wertlos". Tatsächlich hatte die Mediaprint inzwischen eine Tochterfirma, die "Kolpo Zeitungs-und Zeitschriften GmbH", gegründet, deren Verträge nach Ansicht Vanas ein Dienstnehmer-Verhältnis nicht eindeutig bestätigen. Aber, so Vana bereits vor zwei Jahren: "Entscheidend ist ja nicht der Vertrag, entscheidend ist die tatsächliche Praxis. Aus meiner Sicht hätte das Sozialministerium bzw. die Wiener Gebietskrankenkasse in jedem Fall zu prüfen, ob die Verträge, die abgeschlossen sind, tatsächlich der Realität entsprechen."

1990 gesellte sich zur "Kolpo" die "Austropress", später "Astropress", mit einem Kolportagesystem, das nach Aussage von Kolporteuren und einem ehemaligen Mitarbeiter der "Astropress"-Geschäftsführung kaum von dem der Mediaprint abwich: Kolporteure hießen "selbständig", wurden in Wirklichkeit aber abhängig gehalten. Auch einem klagenden "Astropress"-Kolporteur wurde im März vergangenen Jahres gerichtlich beschieden, Dienstnehmer zu sein. Argumentation des Sozialministeriums nunmehr: von einem Fall sei nicht auf alle anderen zu schließen. "Es bleibt beim dringenden Appell an den Sozialminister bzw. jetzt die Sozialministerin", erklärt Vana heute, "das Sozialministerium ist politisch dafür verantwortlich, daß die vorliegenden Erkenntnisse bis jetzt nicht umgesetzt wurden. Umgesetzt in der Form, daß zumindest Prüfungsverfahren eingeleitet werden, ob jene Sachverhalte, die seinerzeit festgestellt worden sind, immer noch vorliegen. Daran hat sich nichts geändert. Geändert hat sich, daß ein Riesenschaden eingetreten ist, der dann nicht eingetreten wäre, wäre das Ministerium früher tätig geworden."

Immerhin sind Vana und der Obmann des "Vereins der Zeitungskolporteure", Ali Ibrahim, mittlerweile vom Juristen Peter Hanisch im Sozialministerium empfangen worden. Vana ist durchaus zuversichtlich: "Herr Hanisch hat zugesagt, daß, wörtlich, alle anstehenden Rechtsfragen hinsichtlich der Kolporteure nunmehr vom Ministerium geprüft werden." Im Interview mit der Furche betont Hanisch seine Zuständigkeit für die arbeitsrechtliche, nicht die sozialrechtliche Klärung des Kolporteur-Status. Zu klären sei weiter, ob die Kautionen vom Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz überhaupt gedeckt seien. Wie eine Prüfung konkret vor sich gehen könne, will Hanisch nicht verraten. Natürlich könne man nicht von einem Fall auf alle übrigen schließen, andererseits aber auch nicht 300 Fälle einzeln prüfen; schließlich wolle man noch Ende des Monats zu einem Ergebnis kommen.

Nach Ansicht Vanas hat sich das Sozialministerium bei seiner Prüfung durchaus auch mit dem sozialversicherungsrechtlichen Aspekt der Causa zu beschäftigen, "und auch nicht nur hinsichtlich der Astropress, sondern hinsichtlich aller Vertriebsorganisationen, vor allem hinsichtlich der Kolpo." Auf die käme, sollte eine Sozialversicherungspflicht zuerkannt werden, eine riesige Summe an Nachzahlungen für die letzten Jahre zu.

Viel wird jetzt davon abhängen, inwieweit es dem "Verein der Zeitungskolporteure" gelingt, eine große Zahl von Beschwerdeführern zu mobilisieren. Aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren, haben bisher nur wenige Kolporteure eine Klage gewagt; jetzt, wo es für viele nichts mehr zu verlieren gibt, füllt sich die Unterschriftenliste, die Vereinsobmann Ibrahim für die Klagewilligen bereithält. Ein Teil der "Astropress"-Kolporteure arbeitet mittlerweile mit dem "Presse Medien Service", dem Vertrieb der "Presse" zusammen, der nach dem Konkurs der "Astropress" für sich und die weiteren, bisher von der "Astropress" betreuten Produkte ("Standard", "News", Produkte von "Morawa" und "Pressegroßvertrieb Salzburg") eine Behelfskolportage auf die Beine stellte. "Presse"-Vertriebschef Kurt Schügerl will in einem künftigen, neuen Vertriebsverbund Kolporteure als echte Selbständige "wie jede andere Verschleißstelle" behandeln.

Rechtsanwalt Vana begrüßt prinzipiell einen solchen Schritt Richtung Vertriebsvielfalt. Allerdings befürchtet er, daß sich aufgrund der Wettbewerbssituation mit der Mediaprint auch beim neuen Vertriebsverbund für die Kolporteure wenig ändern wird. "Die sauberere Lösung wäre, daß endlich die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs akzepiert wird und das Sozialministerium Klarheit schafft: Sind Kolporteure Dienstnehmer - ja oder nein?"

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