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Wirtschaftsboom- und Oppositionsmedium sowie Virus-"Rache" an den Industrieländern. Die Tigerstaaten Südostasiens gehen ans Netz.

Kein Weg der Entwicklung führt heute mehr vorbei an Domänen und Providern: Längst ist zügige Industrialisierung nicht mehr das Wachstumspatent für die Länder des Südens. Laut Angaben der Investmentfirma Goldman Sachs wächst das Web in Asien mit jährlich 40 Prozent überdurchschnittlich: Nur Lateinamerika boomt noch stärker. Setzte 1998 der Handel im Internet asienweit läppische 700 Millionen us-Dollar um, so schätzen Analysten den Ertrag 2003 bereits auf 32 Milliarden.

Lifestyle und Opposition

Internet ist Lifestyle und Shopping-Mall, aber auch Chance der Opposition: Myanmars Junta zeigte auf der staatlichen Tourismuswebsite Haftbilder von glücklichen Dissidenten beim Fernsehen, "unsere Gäste in Regierungsgästehäusern". Gleichzeitig stehen 15 Jahre Haft auf unerlaubtem Besitz von internetfähigen Computern, der Netzzugang ist beschränkt wie in Vietnam und China. Propaganda bewirkt Gegenpropaganda: Mit fiktiven Namen und permanent wechselnden Mailadressen nutzen Oppositionelle daher längst Server in freien Ländern und können ohne Risiko willkürlicher Verhaftung agieren. Die Kosten derartiger Homepages halten sich mittlerweile in Grenzen, seit einige NGOs Gratisnetzzugang anbieten, wie etwa Hongkong Freeway (www.freeway. org.hk) oder die US-Firma GeoCities, die der verbotenen philippinischen National Democratic Front ihren Server unentgeltlich zur Verfügung stellt. Und der indonesische Regimekritiker George Aditjondro, der mit seinen Enthüllungen übers dubiose Vermögen des Suharto-Clans den Sturz des Langzeitautokraten mitbeeinflusst hatte, kann sich weiter in der Sicherheit der australischen University of Newcastle sonnen.

Das Web als Plattform für virtuelle Guerillas? Die Potentaten Südostasiens fürchten den ultimativen Cyberwar. Der E-Mail-Anschluss des vietnamesischen Regierungschefs Vo Van Viet war kaum bekannt, da hatten reaktionäre Exil-Vietnamesen aus den USA die Adresse schon wieder lahmgelegt. Der kambodschanische Schauprozess gegen Pol Pot wurde 1997 zum Showdown im Internet: Die Homepage mit der Videoaufzeichnung des Volksgerichts aus Anlong Veng wurde von 70.000 Usern abgerufen. Politics goes public.

Im Mai 1999 verhaftete die Polizei in Kuala Lumpur zwei junge Leute. Anklagepunkt: Verbreitung von Gerüchten über Menschenrechtsverletzungen im Internet. Internationale Investoren strichen daraufhin kurzfristig malaysische Werte aus ihrem Portfolio. Die Homepage des inhaftierten ehemaligen Vize-Präsidenten Anwar Ibrahim zählt mit mehr als einer Million Hits zu den meist besuchten des Landes, Dutzende Internetseiten wie die Voice of Freedom bildeten sich quasi über Nacht.

Suhartos Fall beschleunigt

Jenseits der Straße von Malakka ging es dem Langzeitpotentaten Suharto heftiger an den Kragen. Ohne die organisierten Kommunikationszentren der Universitäten wäre die 32-jährige Autokratie nicht so rasch gefallen, ist David Hill, Vorsitzender der australischen School of Asian Studies, überzeugt. Die Zeiten des unbeschränkten staatlichen Informationsmonopols sind jedenfalls Vergangenheit. Die Eliten können nicht mehr ihre Süppchen kochen wie einst, als man missliebige Oppositionsblätter einfach kurzerhand einstampfte. Das 1994 verbotene indonesische Nachrichtenmagazin Tempo (www.tempo.co.id) ist seit März 1996 im Internet und damit nicht länger unter direkter Kontrolle der staatlichen Zensur. Auch der indonesische Islam, Hauptkritiker der Verwestlichung, ist mittlerweile online: Das Muslimnet ist längst federführend an der politischen Renaissance des südostasiatischen Islam beteiligt.

Vom Hype zur Realität

Szenenwechsel: Auch in Südkorea wird das Netz immer mehr vom Hype zur Realität. Längst befindet sich die zweitgrößte elektronische Börse in Seoul, die Umsätzen verdoppeln sich Jahr für Jahr. Der Aktienhandel ist der wichtigste Pfeiler des elektronischen Handels. Technologie als Motor der Entwick lung hat Tradition im Tigerland am Eisernen Vorhang zu Nordkorea: Bereits 1982 startete das Electronic & Telecommunications Research Institute in Kooperation mit der Seoul National University die erste Internet-Anbindung - anfangs so bescheiden, dass kaum mehr als E-Mails möglich waren. Erst der Eintritt kommerzieller Anbieter 1994 ließ die eigentliche Geburtsstunde des Webs näher rücken. Mit steigenden Kapazitäten kamen auch die Kunden - die Zahl der Hosts und der Nutzer ist explosionsartig angewachsen, von rund 130.000 Usern (1994) auf über vier Millionen (2000). 2004 sollten 19 Millionen Südkoreaner online sein, womit mehr als die Hälfte der Bevölkerung direkten Zugriff auf das Internet haben.

Die bedingungslose Internet-Euphorie scheint aber vorbei. Wird das Internet jedoch eine Art anti-kolonialer Rache der Dritten Welt an den Industrieländern? So kam der "loveletter"-Virus, der sich ausschließlich gegen Bill Gates und dessen Microsoft-Imperium richtete, von den Philippinen. Software als Atombombe der Verdammten dieser Erde, billig und überall herzustellen und durch keinen Sperrvertrag zu stoppen? Powerplay for everybody? Die Maschen der Tigerfallen sind enger geworden.

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