Kritiker werden umgebracht

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Andrei Sannikov, früher weißrussischer Vize-Außenminister, heute Koordinator der Opposition "Charta 97".

Sonntagnachmittag, April 2005, Café Beriozka, Siegesplatz Minsk.

Die Furche: Herr Sannikov, kann ich das Gespräch mit Ihnen hier in der Öffentlichkeit mitschreiben, oder entstehen Ihnen dadurch Probleme?

Andrei Sannikov: Mir entstehen dadurch nicht andere Schwierigkeiten als solche, die ich bereits habe - aber Sie könnten Probleme bekommen... (lacht)

Furche: Haben Sie keine Angst?

Sannikov: Nur Dummköpfe haben keine Angst; wenn ich abends allein durch eine dunkle Straße gehe, überkommt mich stets ein mulmiges Gefühl. Ich habe auch kein Privatleben mehr: mein Telefon wird abgehört, mein Wohn- und Arbeitsplatz überwacht, dazu kommt die Angst, jeden Moment eingesperrt zu werden, am meisten fürchte ich aber um meine Angehörigen.

Die Furche: Warum ziehen Sie nicht ins Ausland?

Sannikov: Als Politiker im Außenministerium habe ich mich verpflichtet, meinem Land in bester Weise zu dienen. Unter Lukaschenko war das nach 1996 nicht mehr möglich, deshalb bin ich ausgestiegen. Um aber weiterhin für ein freies Weißrussland zu arbeiten, muss ich hierbleiben.

Die Furche: Es heißt, die weißrussische Opposition sei gespalten - warum gibt es diese Uneinigkeit?

Sannikov: Das stimmt nicht. Im Unterschied zur Ukraine oder zu Georgien vor dem Umsturz gibt es bei uns keine Opposition im Parlament - alle Abgeordneten sind absolut loyal gegenüber Lukaschenko. Die Opposition ist nicht gespalten, sie wird gespalten, indem Regimekritiker verschwinden oder eingesperrt werden. Sobald sich wer als Leitfigur der Opposition etabliert, stirbt er.

Die Furche: Wie wahrscheinlich ist dann ein Umsturz in Weißrussland?

Sannikov: Lukaschenko ist gefährlicher, als es Kutschma oder Schewardnadse waren. Jetzt fühlt er sich von allen Seiten bedroht und wiederholt ständig, dass es keine Revolution in welcher Farbe auch immer geben wird. Und er trifft Vorbereitungen für einen Kampf: Er ändert Gesetze, ermächtigt Militär und Polizei damit zu kriminellen Handlungen und will sich so seine eigene Schutztruppe bilden - aber trotzdem: Ich kann mir nicht vorstellen, dass weißrussische Uniformierte einmal die Waffen gegen das weißrussische Volk erheben.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Weitere Info unter: www.charter97.org

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