Kultur-Radio macht Radio-Kultur

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Eine - mehr als unvollständige - Hommage an Ö1.

Das vier Meter hohe Ohr des Gugginger Künstlers Johann Garber, das seit 1998 vor dem Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße steht, kann als Wahrzeichen für österreichisches Kulturradio herhalten - für Ö1 wie für FM4. Bunt, aber nicht ohne Form, das Kultivieren des Hörens symbolisierend. FM4, das eine dieser Radios, kann fürs Wahrnehmen von Jugend-wie Alternativkultur nicht genug vor den Vorhang geholt werden.

Für alle Alter …

Dennoch ist die Affinität zu FM4 viel mehr eine Altersfrage als die Liebe zu Ö1. Denn wenn Ö1 in der Vergangenheit als "Hofratswitwensender" verunglimpft wurde, so muss dem Sender heute konzediert werden, dass er durchaus sein Publikum aller Lebensalter ansprechen kann. Ö1 ist zwar alles andere als ein Massenprogramm, trotzdem scheint es nicht verstiegen, den Sender als "öffentlich-rechtlichstes" Programm des ORF zu apostrophieren.

Natürlich geht die Zeit an Ö1 nicht spurlos vorüber, und wer sich bei Mitarbeitern des Senders umhört, trifft auf beredte Klage über knappste Finanzmittel und immer weniger Möglichkeiten zu Recherche und/oder Reisen an Schauplätze, von denen berichtet werden kann, et cetera. Dennoch gelingt es dem Programm, sein Niveau und das der Auseinandersetzung zu halten.

Was die großen, auch öffentlich-rechtlichen TV-Kanäle längst nicht mehr bieten können - wie extensive Berichterstattung aus den entfernteren Regionen des Globus - leistet sich Ö1 heute noch. Das allabendliche Journal Panorama bringt wieder und wieder das Schicksal von Menschen ins Gedächtnis, die fast vergessen sind, ebenso die samstägliche Sendeleiste Diagonal oder die vormittäglichen Hörbilder am selben Tag. Nicht nur die ausführlichsten Nachrichtensendungen des ORF (die Ö1-Journale schlagen, was die Informationsmenge und-qualität betrifft, ihre TV-Pendants um Längen) findet man hier. Wer beispielsweise kontinuierliche Berichterstattung aus den Ländern des Südens sucht, wird - von wenigen Printmedien abgesehen - nur von Ö1 gut bedient. Das ist auch eine gesellschaftspolitische Leistung, die kaum anerkannt wird.

… gesellschaftspolitische, …

Ein anderer Mosaikstein, der Ö1 wirklich öffentlich-rechtlich macht, ist der Umgang mit dem Bildungsauftrag. Es gehört seit Jahren zur Abwehr-Rhetorik öffentlich-rechtlicher Rundfunkmanager und Programmmacher, auf die Frage nach öffentlich-rechtlicher Qualität zu replizieren, man könne, dürfe und wolle keinen Schulfunk mehr machen. Abgesehen davon, dass das damit gemeinte frühere Bildungs-Radio durchaus seine Meriten hatte, führt Ö1 längst vor, wie Wissen in der heutigen Gesellschaft lebenslangen Lernens vermittelbar ist. Was etwa das Radio-Kolleg bei verschiedenen Themen leistet, ist Wissenstransfer auf dem Stand der Zeit. Fünfminütige Häppchen - das morgendliche Vom Leben der Natur ebenso wie Betrifft: Geschichte am späten Nachmittag, tun ein Übriges. Schließlich zwingen gerade die Kurzsendungen auch Wissen-schafter und Forscher zu verständlicher und prägnanter Ausdrucksweise - und verhelfen auf diese Weise dem wissenschaftlichen Dis-kurs zu gewisser Breite - auch dies eine gesellschafts-bzw. kulturpolitische Leistung des Mediums.

… kulturpolitische Leistung

Literatur und Musik gehörten von jeher ins Genre dieses Senders, aber auch da öffnen Verstehens- und Zugangshilfen Tore zum "Genuss" von Kunst. Oper, Theater und so weiter erwartet man sich hier - und wird über weite Sendestrecken nicht enttäuscht.

Auch wenn das alles unter "Massenmedium" firmiert: Ö1 will nicht nur kein Programm für die Massen sein, sondern dieses Radio ist etwas Intimes, ein privates Kommunikationsangebot für den Liebhaber aller möglichen Künste, für den Informationshungrigen und Wissensdurstigen. Wer nicht glaubt, dass Kunstgenuss auch durch leise Töne erreicht wird, wer nicht glaubt, dass Informationshunger anders als durch Hämmern von Parolen, Schlagzeilen und schnellen Sagern zu stillen ist, wer nicht glaubt, dass Wissensdurst anders als durch frontale Indoktrination befriedigt werden kann, der hat Ö1 schon lang nicht mehr aufgedreht.

Wenn also nicht mit hohen Quoten aufzuwarten ist (im diesbezüglichen Wettstreit mit vergleichbaren Sendern kann sich Ö1 aber wirklich sehen lassen!): Mit Ö1 hat ORF ein Kleinod im Schoß liegen. Solange er dieses pflegt, wird niemand ernsthaft Cash cows wie Ö3 in Frage stellen. Aber auch das ist letztlich ein schwaches Argument. Viel wichtiger bleibt, dass Ö1 für eine radiophone Identität Österreichs steht. Und das sollte einmal deutlich festgestellt werden.

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