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Die 57. Berlinale kürt Überraschungssieger - nach einem erstaunlich farblosen Festivalprogramm.

Wenn sich Filmkritiker über die Favoriten ei-nig sind, dann kommt es meist ganz anders: Die Jury der 57. Filmfestspiele von Berlin, angeführt von Regisseur Paul Schrader, zeigte sich völlig unbeein-druckt von den favorisierten Filmen und vergab die Preise des Fes-tivals an kleine Arbeiten, die niemand auf der Rechnung hatte. Der Goldene Bär ging nach China, an das bäuerliche Drama Tuyas Hochzeit von Wang Quan'an, der darin die Ankunft des chinesischen Wirt-schaftswunders in der mongolischen Steppe einfängt: Die junge Tuya hat zwei Kinder und einen älteren, behinderten Mann namens Bater. Als sie krank wird, beschließt das Paar, Tuya erneut zu verheiraten, vorausgesetzt, der neue Mann kann sich auch um Bater kümmern. Ein Überlebenskampf in karger Umgebung, ein Partner-Karussell, bei dem bald klar wird, dass der neue Mann in Tuyas Leben ihr versoffener, aber aufopfernder Nachbar sein wird.

Faithfull leer ausgegangen

Die Auszeichnung des Films ist in Ordnung, wenngleich sich die Kritiker eher Robert De Niros Der gute Hirte und Sam Garbarskis Irina Palm gewünscht hätten. Immerhin: De Niros Schauspieler-Ensemble wurde prämiert, aber Irina Palm mit Marianne Faithfull als Witwe, die zwecks Geldbeschaffung im Bor-dell Männer befriedigt, ging unverständlicherweise völlig leer aus. Statt der grandiosen Faithfull den Darstellerpreis zuzusprechen, erhielt ihn Nina Hoss für Christian Petzolds Yella. Doch das deutsche Drama, in dem Petzold über die Unmoral der Wirtschaft phantasiert, zeigt Hoss als blasse Akteurin, deren Minenspiel sich auf das Runzeln der Stirn beschränkt. Viel Schauen, wenig Handeln. Aber es scheint, als gäbe es ein ungeschriebenes Gesetz in Berlin: Zumindest ein Preis soll für Deutschland abfallen. Dass das seit 1999 fünf Mal der Preis für die beste Schauspielerin ist verwundert sehr.

Weitere Preise gingen an den argentinischen Film El Otro (Jury-Preis, bester Darsteller Julio Chavez), in dem sich ein Mittvierziger eine Auszeit nimmt, um über sein Leben nachzudenken. Der Regiepreis ging an den israelischen Regisseur Joseph Cedar für den Film Beaufort, der die letzten Stunden eines Armeepostens vor dem Abzug der Israelis aus dem Libanon zeigt. Einer der wenigen politischen Filme dieser Berlinale, die sonst für ihre politischen Beiträge bekannt ist.

Für Österreichs Beitrag, Stefan Ruzowitzkis KZ-Drama Die Fälscher mit Karl Markovics, gab es keinen Preis - wiewohl Markovics sich als bester Darsteller durchaus qualifiziert hätte.

Ein farbloser Wettbewerb, bei dem einzig die Stars glänzten: Berlinale-Chef Dieter Kosslick ging schon vor fünf Jahren, als er das Festival zum ersten Mal leitete, Kompromisse ein: Durchschnittliche Starvehikel aus Hollywood sollen große Namen nach Berlin bringen, egal, ob dabei die Qualität des Filmprogramms stimmt. Gerne schüttelt Kosslick Leuten wie Sharon Stone oder Jennifer Lopez die Hand, weil das medienwirksam ist und die Berlinale als trendigen Star-Treffpunkt weltweit bekannt macht. Heuer ging diese Taktik erneut auf - doch selten zuvor zeigte sich der Starrummel derart qualitätshemmend. Sharon Stone als frustrierte Hausfrau in dem lauen Independent-Film When a Man Falls in the Forest hinterlässt Ratlosigkeit. Das größte Ärgernis aber war die Aufnahme des B-Movies Bordertown in den Wettbewerb.

Ärgernis "Bordertown"

Das Thema ist durchaus ernst: Der Film handelt von brutalen Morden an jungen Frauen an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, die dort für einen Hungerlohn in den Fabriken großer Konzerne Fernseher für den US-Markt zusammenschrauben. Seit Mitte der 90er Jahre sind hunderte Frauen nach ihrer Arbeit entführt, vergewaltigt und ermordet worden - Bordertown will diesen von der mexikanischen Regierung negierten Massenmord publik machen. Doch die konfuse Inszenierung bedient sich sämtlicher Hollywood-Klischees, endet in einem wirren Genremix aus Thriller, Splattermovie und Starkino mit peinlichen Szenen und einer misslungenen Dra-maturgie. Nur die Mitwirkung von Jennifer Lopez (einer ihrer schlechtesten Filmauftritte) und Antonio Banderas brachte den Film in den Wettbewerb - der politische Hintergrund geht bei der stümperhaften Umsetzung verloren, die Kritiker lachten den Film aus.

Dass dadurch bemerkenswerte Arbeiten von Schauspielern, die sich zum Teil erstmals als Regisseure versuchten, nur außerhalb des Wett-bewerbs Platz fanden, ist bedauerlich: Julie Delpys Liebeskomödie 2 Days in Paris oder Steve Buscemis grandioser Film Interview, sowie An-tonio Banderas' Regiearbeit Summer Rain wären solche Beispiele.

Die Berlinale zeigte sich heuer kraftlos. Vielleicht auch, weil im Mai das Cannes-Festival den 60er feiert und viele Filmemacher ihre Werke dafür aufbewahren. Auch in der Kunst kann Taktieren manchmal sehr wichtig sein.

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