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Wie ein gealterter Popstar bezeugt der "Spiegel", 60, mit seinem Dasein eine glorreiche Vergangenheit.

Der Spiegel war einmal das "Flaggschiff", der "Leuchtturm", er war das "Leitmedium" der deutschen Öffentlichkeit. Heute, 60 Jahre nach ihrer Gründung, ist die immer noch auflagenstärkste deutsche Wochenzeitschrift eine lebende Legende, so wie andere Popstars in dem Alter, die mit ihrem Dasein eine glorreiche Vergangenheit bezeugen.

Die große Zeit des Spiegel war die Bonner Republik. Er gehörte zu Bonn wie Regierung und Parlament, wenn er auch oft die Rolle des Sands im Getriebe spielte. Montag war (seit 1966, vorher Samstag) Spiegel-Tag, und dann kam ans Licht, was die Mächtigen zu verbergen hatten.

Den ersten Parteienskandal hatte die Bundesrepublik im Jahr 1950. Der Spiegel deckte auf, dass einige Parlamentarier sich in der Hauptstadtfrage (Frankfurt oder Bonn) hatten bestechen lassen. Viele Enthüllungen folgten: die Spendenaffäre um den Flick-Konzern oder der Bankrott der gewerkschaftseigenen Immobilienholding "Neue Heimat" - um nur zwei prominente Beispiel zu nennen. Eine Zeitschrift, die den Politikern auf den Leib rückte und dabei ihre Eigenständigkeit wie ein Panier vor sich her trug, war in der Ära Adenauer ein unerhörtes Novum. Der Erfolg blieb nicht aus.

Zwei Zäsuren markieren die Erfolgsstory des Spiegel. Die erste war der 30. November 1962, als die so genannte Spiegel-Affäre ihren Höhepunkt erreichte. Die zweite war der 18. Januar 1993, als im Münchner Burda-Verlag die erste Ausgabe von Focus erschien, jenes Konkurrenten, der den Spiegel von Grund auf veränderte.

Den Verteidigungsminister Franz Josef Strauß hatte der Spiegel seit 1957 im Visier, seit einem Besäufnis in der Villa seines Gründers Rudolf Augstein in Hamburg, bei dem der machtgierige Strauß sein wahres Gesicht zeigte. Seither bekämpfte Augstein ihn mit aller Macht, über die der Spiegel verfügte.

Ein Artikel zur "bedingten Abwehrbereitschaft" der Bundeswehr in Heft 41/1962 war Teil dieser Kampagne. Jemand aus dem Umkreis von Strauß erstattete Anzeige wegen Landesverrats, die Spiegel-Redaktion wurde durchsucht, Augstein und ein Redakteur kamen in Haft. Die deutsche Öffentlichkeit sah die Pressefreiheit bedroht und protestierte. Am Ende stand Strauß als Schuldiger da. Er musste am 30. November 1962 zurücktreten, Augstein wurde freigelassen, dem Spiegel Recht gegeben. Seither war der Spiegel unangefochtenes Zentralorgan der kritischen Öffentlichkeit und Feind der Mächtigen, ein "Sturmgeschütz der Demokratie", das Woche für Woche die Politiker in Bonn aufs Korn nahm.

Ob der Spiegel dabei "im Zweifel links" war, bezweifelten schon damals viele. Etwa Hans Magnus Enzensberger, der 1957 beklagte, die politische Position des Spiegel sei von der Logik der jeweiligen Story diktiert und insofern beliebig. Zudem sah er beim Spiegel eine "Sprache von schlechter Universalität" am Werk, einen Jargon, der die Welt "zum Häftling der Masche" mache. Am Jargon des Spiegel, der auch als respektlos, ätzend und nihilistisch charakterisiert wurde, scheiden sich bis heute die Geister.

Unbestritten ist dagegen, dass es den Spiegel-Autoren durch lebendige Darstellung und erfrischende Häme gelang, Leser für ihre Themen zu gewinnen. Das Urteilen von oben herab wurde den Autoren dadurch erleichtert, dass sie ihre Artikel, die oft Gemeinschaftswerk waren, nicht signierten. Der Korpsgeist des Spiegel ist ebenso legendär wie das schlechte Arbeitsklima in der Redaktion, das durch Renommee, üppige Gehälter und eine finanzielle Beteiligung gemildert wird. Gut die Hälfte des Spiegel gehört einer Mitarbeiter KG.

Heute stehen unter den Artikeln Autorennamen. Auch sonst ist vieles anders geworden, seitdem Focus dem Spiegel Konkurrenz macht und der Fernsehjournalist Stefan Aust zum Chefredakteur ernannt wurde. Aust regiert das Blatt auch nach Augsteins Tod 2002 in bewährt autokratischer Manier. Der Spiegel ist indessen bunter geworden, weniger bissig, dafür serviceorientiert. Die Nähe zu den Mächtigen pflegt er weiterhin, aber er ist mit Kritik an ihnen sparsamer geworden. Neu ist auch die sehr erfolgreiche Online-Version, während die Print-Ausgabe Umfragen zufolge ihre Stellung als Leitmedium eingebüßt hat.

Ein "geschwätziges Blatt" nannte die Journalistin Franziska Augstein die Zeitschrift, die ihr Vater gegründet hat, vor nicht langer Zeit. Viele Glückwünsche, die aus Anlass des Sechzigjährigen erschienen sind, klingen eher wie Abgesänge. Die Jubiläums-Ausgabe des Spiegel (Heft 2/2007) natürlich nicht. Sie strickt weiter an der Legende.

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