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Die Universität Standford beendet diese Woche ein faszinierendes Experiment: Online und kostenlos konnten die Studenten eine Vorlesung mitverfolgen.

Wer würde nicht gerne an einer Top-Universität wie Stanford in den USA studieren? Die Elitehochschule hat derzeit 15.723 Studierende (bei 1.934 Lehrenden!) und kann es sich erlauben, selektiv zu sein. In den beiden maßgeblichen Universitätsrankings dieses Jahres rangiert die Uni jeweils auf Platz Zwei. Im aktuellen Wintersemester öffneten sich die Tore Stanfords erstmals ungewöhnlich weit. Ein faszinierendes Experiment ermöglichte es jedem Interessierten, an der Vorlesung "Einführung in die künstliche Intelligenz“ teilzunehmen. Online, aber kostenlos. Die Vorlesung startete am 10. Oktober und endet am 18. Dezember mit der Abschlussprüfung. Die Lehrinhalte sind deckungsgleich mit dem real am kalifornischen Campus stattfindenden Kurs CS221. Der Stoff wird über wenige Minuten lange Videos vermittelt. Die insgesamt 450 Videos werden eigens für das Projekt produziert. Jede Woche sind Hausaufgaben zu erledigen. Meist mathematische Berechnungen, seltener Multiple Choice Fragen. Die Antworten werden in das interaktive Videofenster eingegeben und vom System automatisch abgespeichert. Die Teilnehmer erhalten ein Zertifikat, das die Teilnahme bestätigt und die erreichte Punktanzahl bei Hausarbeiten und Prüfungen anzeigt.

Antworten per YouTube

Die beiden Vortragenden sind respektable Wissenschaftler: Sebastian Thurn ist Informatikprofessor in Stanford und Entwickler fahrerloser Autos. Unter anderem von "Stanley“, dem einzigen Fahrzeug, das die berüchtigte DARPA Grand Challenge bewältigt hat. Peter Norvig ist Forschungsdirektor bei Google und Co-Autor eines der wichtigsten Lehrbücher zur künstlichen Intelligenz.

Das Projekt hat natürlich einen nicht zu unterschätzenden Marketingnutzen für Stanford. Es bietet aber ebenso einen realen Bildungswert und demonstriert, wie Wissen im Zeitalter elektronischer Medien vermittelt werden kann. Zudem erfüllt es eine wertvolle soziale Funktion.

Parallel zur Vorlesung gibt es ein Forum, in dem sich die Teilnehmer austauschen und Fragen stellen, Verständnisschwierigkeiten beheben und Kritik vorbringen können. Altruistische Studierende haben alle Vorlesungen in Textform veröffentlicht, was mäßig englisch Sprechenden die Teilnahme erleichtert. Immerhin wird die Online-Lehrveranstaltung von 80.000 Personen aus aller Welt besucht. Über "Google moderator“ können Fragen an die Lehrveranstaltungsleiter gestellt werden. Diese werden bewertet, einmal wöchentlich von Thurn und Norvig in einem viertelstündigem Video auf YouTube beantwortet.

"Lernen ist immer auch ein sozialer Prozess“, meint Peter Baumgartner, Leiter des Departments für interaktive Medien und Bildungstechnologien an der Donau Universität Krems. "Der Einsatz sozialer Medien bietet viele neue didaktische Möglichkeiten.“ Lobend nennt Baumgartner etwa die Webseite LibraryThing, die laut Betreibern bereits 1,4 Millionen Mitglieder hat. Angemeldete User können hier angeben, welche Bücher sie besitzen. Zusätzlich lassen sich Bewertungen abgeben, Zusammenfassungen online stellen und Schlagwörter vergeben. Über eine Suchfunktion findet man andere Nutzer, die ähnliche Bücher besitzen wie man selbst. "Mit denen kann man dann in Foren in Kontakt treten“, sagt Baumgartner. "Oder man entdeckt über die Einträge dieser Personen neue interessante Bücher.“ Kerneigenschaft des Web 2.0 ist es, dass Nutzer Inhalte selbst aktiv mitgestalten. Umgelegt auf neue Bildungs- und Lernkonzepte heißt das: Lernende erhalten mehr Eigenverantwortung beim Lernprozess. Sie entscheiden selbst, wann, in welchem Umfang und in welchem Tempo sie Wissen erwerben.

Neue Form witness learning

Ein anderes Beispiel für eine neue Form des Lernens ist Wikipedia. Selbst wer nicht aktiv an Artikeln mitarbeitet, lernt etwas, wenn er lediglich die Diskussionen der Autoren verfolgt. In der Bildungswissenschaft gibt es dafür den Begriff "witness learning“: man lernt, indem man einem Lernprozess unbeteiligt beiwohnt. An Universitäten und Schulen finden so genannte Lernplattformen zunehmend Verbreitung. Dabei handelt es sich um Software, die der Organisation von Lerninhalten und Lehrmaterialien dient. Lehrende können geschützte virtuelle Räume einrichten, auf die die Lernenden via Internet Zugriff haben. Es lassen sich Texte, Ton-, Bild- und Videodateien online stellen, man kann Diskussionsforen einrichten oder in Gruppen kollaborativ Aufgaben lösen. Praktisch: Zusatzmodule prüfen die hochgeladenen Arbeiten der Schüler automatisch auf Plagiate.

Zugriff in Echtzeit schafft Nutzen

Den vollen Nutzen entfalten solche Lerntechniken dann, wenn die Lernenden während des Unterrichts mittels mobiler Geräte online sind und in Echtzeit auf die Lernplattform zugreifen. Vor wenigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Doch mittlerweile gibt es bereits erste Pilotprojekte.

Vergleichsweise etabliert ist es, dass Universitäten ihre Lehrveranstaltungen auf Video aufzeichnen und kostenlos im Web zur Verfügung stellen. Zumindest im angloamerikanischen Raum. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) etwa bietet auf seinen Seiten 2000 Vorlesungen an. Auch in Deutschland finden Lernbegierige bei einigen Unis komplette Vorlesungen. Inzwischen gibt es dafür sogar Spezialsoftware wie den Lecturnity Player. Er ermöglicht das gleichzeitige Betrachten des Vortragenden und der Präsentationsfolien in einem Fenster. In Österreich bietet die Universität Innsbruck seit dem aktuellen Semester als erste heimische Hochschule Vorlesungsvideos an. Das hat nicht nur einen volksbildnerischen Aspekt. Den Universitäten könnte dieses Service künftig helfen, die vor allem in einführenden Pflichtveranstaltungen oft überfüllten Hörsäle "aufzuräumen“. Studierende brauchen nicht präsent zu sein, sondern können sich die Vorlesung zu einem beliebigen Zeitpunkt online ansehen.

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