McLuhan: Genialer Chaot

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Ob "Orakel des elektronischen Zeitalters" oder "Scharlatan": Er sah Entwicklungen voraus.

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Ob "Orakel des elektronischen Zeitalters" oder "Scharlatan": Er sah Entwicklungen voraus.

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Vor 50 Jahren brach das Fernsehen in unser Leben ein. Trotz aller Begeisterung am technischen Spielzeug ahnten wenige das Ausmaß der weiteren Auswirkungen. Marshall McLuhan zeigte mit dem Satz "Das Medium ist die Botschaft", dass er als Erster begriffen hatte, worum es sich handelte. Philip Marchand schrieb nun McLuhans Biographie. Der 1958 ausgesprochene Satz, lesen wir hier, "war der Endpunkt eines langen intellektuellen Prozesses ... Er war nichts anderes als die Feststellung, dass alle Medien - auch die menschliche Sprache, die nach McLuhan die Grundlage aller nachfolgenden Medien war - auf die menschliche Psyche einwirken, ganz unabhängig davon, was sie möglicherweise an Information übermitteln".

McLuhan passte nie recht ins akademische Ambiente, zu seinem Glück sind jedoch die Kriterien amerikanischer Universitäten offener als in Europa. Schon in seiner ersten Stelle als Assistent an der Universität von Wisconsin fiel er aus dem Rahmen. Niemand wusste, ob er etwas ernst meinte. "Seine Devise lautete: Wenn sowieso niemand etwas genau wissen kann, spielt man eben mit so vielen Ideen wie möglich - und wer weiß, vielleicht bewahrheiten sich ja einige von ihnen", schrieb ein damaliger Kollege.

Sein Doktorat machte er in St. Louis, gleichzeitig wurde er mit gesellschafts- und kulturkritischen Artikeln bekannt. Schließlich landete er an der Universität von Toronto, wo er ein eigenes Institut bekam. Seine größte Stärke war, dass er den neuen Stellenwert der Information begriffen hatte. Das Fernsehen und die Verästelung in immer neue Medien würden schließlich eine Wirkung ausüben, welche die klassische formale Erziehung weit überschattete. "In dem jetzt anbrechenden Informationszeitalter sei Bildung eine fortwährende Notwendigkeit für Kinder wie für Erwachsene. Wissenschaftler und Künstler, die am besten mit der Verarbeitung und Aufbereitung von Information vertraut seien, würden vom Elfenbeinturm in den Kontrollturm umsteigen," beschreibt der Autor McLuhans Sicht.

Dabei war dieser alles, nur kein Fortschrittsapostel. Es ging ihm um die Erhaltung der klassischen Werte. Sie schien ihm möglich, wenn man sich von der Entwicklung nicht forttragen ließ, sondern sie verstand und in den Griff bekam. Das war aber wohl nur ein frommer Wunsch. Gegen Ende seiner Karriere gerieten McLuhans Bücher fast in Vergessenheit, nicht zuletzt durch ihre Verworrenheit. Er hätte ohne intensive Hilfe seines jeweiligen Mitarbeiters, der den chaotischen Gedankenfluss in halbwegs verständliche Bahnen lenkte, kaum ein Buch beenden können.

Allerdings, meint der Biograph, werden "clevere Menschen auch in Zukunft seine Bücher durchkämmen, Menschen, die wie er ständig auf der Suche nach Elementen von unschätzbarem Wert sind. Und solche Forscher werden wissen, dass sie auf die ungeheuerlichen Übertreibungen nicht zu achten brauchen." McLuhans Stärke lag im intuitiven Erfassen und in der griffigen Formulierung. Mit dem "global village", dem globalen Dorf, sprach er etwas aus, was den Zeitgenossen entgangen war.

MARSHALL MCLUHAN: BOTSCHAFTER DER MEDIEN Biographie von Philip Marchand Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999 431 Seiten. Ln., öS 423,- / E 30,74

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