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Patrice Chéreau lässt sich in seinem jüngsten Meisterwerk "Sein Bruder" bis zum Äußersten aufs Leben ein.

Körper interessieren ihn - das hat Patrice Chéreau nicht nur im Furche-Gespräch (Nr. 13/2004) klar gemacht: Chéreaus Spielfilm "Intimacy", Gewinner des Goldenen Bären der Berlinale 2001, wurde auch wegen seiner expliziten Sexualdarstellungen diskutiert. Körper, Erotik - pralles Leben darin ebenso wie absolute Vergänglichkeit: Das ist erst recht das Thema, welches mit Chéreaus jüngstem Opus "Sein Bruder" in die Kinos kommt. Auch für die Geschichte zweier Brüder, von denen einer an einer Blutkrankheit stirbt, gab es einen Berliner Preis - 2003 heimste Chéreau den Silbernen Bären für die beste Regie ein.

Intimität und Sterben, Erotik und Tod - selten gelang es einem Film in derartiger Deutlichkeit und Dichte, diese Verbindungen erfahrbar zu machen: Thomas (überwältigend: Bruno Todeschini) ist unheilbar krank. Er nimmt Kontakt auf zu seinem - schwulen - jüngeren Bruder Luc (kongenial: Eric Caravaca), mit dem er kaum Kontakt hat. Die sich entwickelnde Geschichte des Sterbens von Thomas wird auch zur Geschichte des Überwindens jener Entfremdung zweier Menschen, die sich über Jahre hindurch aufgebaut hat: Als Thomas aus dem Leben fortgeht, ist wieder so etwas wie Bruderliebe gewachsen; dieses Etwas, das längst vergraben schien, legt der leise Film so behutsam frei, dass der Zuschauer am Ende die Trauer und den Schmerz des überlebenden Bruders ganz und gar mitfühlt.

So still und langsam Chéreau dies schildert, so schonungslos setzt er die Köperlichkeit seiner Protagonisten ein: Das hinfällig Werden ist kein steriler, abstrakter Vorgang. "Sein Bruder" lässt spüren, dass dies alles Thomas und seine Umgebung sowie Bruder Luc mitnimmt. Patrice Chéreau lässt keinen im Unklaren über diesen physischen Niedergang, aber er zeigt dabei gleichzeitig auf, wie präsent der Körper auch im Verfallen ist.

Jene Szene, bei der Thomas von zwei Krankenschwestern zur Vorbereitung auf eine Operation bis in die Scham hinein rasiert wird, ist gleichermaßen unerträglich lang und ein Synonym für die Entäußerung des siechen Körpers im modernen Medizin-Alltag wie eine erotische Schlüsselszene. Erotik der Krankheit und in Konsequenz daraus auch des Sterbens - und dennoch: "Sein Bruder" ist alles andere als ein voyeuristisches Machwerk, auch kein Sozialpornofilm - sondern er lässt sich bis ins Äußerste aufs Leben ein. Ein Leben, das auch den Tod auskosten will und muss.

Sein Bruder - Son frère

F 2003. Regie und Drehbuch: Patrice Chéreau. Mit Bruno Todeschini und Eric Caravaca. Verleih: Constantin. 87 Min.

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