Mickey Rourke kehrt zurück

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Ein überaus schwacher Jahrgang in Venedig: Goldener Löwe für "The Wrestler".

Von der Leidenschaft zur Abhängigkeit ist es oft nur ein kleiner Schritt. Vom Adrenalin-Ausstoß des Show-Kämpfers, vom Schaffensdrang des Couturiers, von der Gier des Spielsüchtigen, von der Lust am Krieg: All diese Beispiele zeigen, wie wenig stoffgebunden eine Sucht sein muss, und wie stark sie das Leben der Süchtigen bestimmt.

Süchte und Abhängigkeiten, sie waren zentrale Themen der 65. Filmfestspiele von Venedig, eines Festivals, das wie schon lange nicht mit einem höchst durchschnittlichen Wettbewerb zu kämpfen hatte. Und auch damit, dass es kaum gelang, den für Festivals so wichtigen Glamour-Faktor nach Venedig zu holen. Die wenigen US-Stars - von George Clooney über Brad Pitt, Charlize Theron oder Natalie Portman bis zu Mickey Rourke - zeigen ein großes Problem von Venedig auf: Heruntergekommene Infrastruktur, überteuerte Preise, gepaart mit dem ungünstigen Dollar-Euro-Wechselkurs - das trieb viele US-Studios lieber zum zeitgleich stattfindenden Festival nach Toronto.

Just in dieser Situation prämierte die Jury unter dem Vorsitz von Wim Wenders dann doch einen amerikanischen Film mit dem Hauptpreis. "The Wrestler" von Darren Aronofsky ist einer dieser Filme über eine mit Passion verwechselte Sucht. Der tiefe Fall des Show-Wrestlers Randy "The Ram" (Mickey Rourke) erzählt von der (Sehn-)Sucht nach Aufmerksamkeit, von der Unfähigkeit, aufzuhören und die Zeichen der Zeit zu erkennen. Mickey Rourke, der zur Unkenntlichkeit operierte, gefallene Star der 80er Jahre, spielt sich zurück in die Oberliga - weil die Rolle so gut zu seinem persönlichen Schicksal passt: Als Wrestling-Ikone Randy "The Ram" zehrt er von einstigen Triumphen und verdingt sich nach einem Herzinfarkt als Hilfsarbeiter an der Fleischtheke im Supermarkt. Aber "The Ram" will es - ganz amerikanisch - noch einmal wissen. Selten gehen Regisseure an eine Geschichte über die Rückkehr eines gefallenen Helden so unpathetisch und unheroisch heran wie Aronofsky. Er erspart uns heroische Fanfaren à la Rocky und zeichnet einen kämpferischen, aber demütigen und gedemütigten Mann, der nicht anders kann, als dem Ruf seines (Wrestler-)Herzens zu folgen. Wenn's sein muss, auch bis in den Tod. Dass der Darstellerpreis nicht an Rourke, sondern an den Italiener Silvio Orlando ("Il papa die Giovanna") ging, ist wohl dem italienischen Kino geschuldet, das sich bei dieser Mostra mit vier teilweise haarsträubenden Wettbewerbsbeiträgen selbst lächerlich machte. Mit dem Preis für die Französin Dominique Blanc ("L'autre"), dem Nachwuchspreis für Jennifer Lawrence ("The Burning Plain") und dem Jury- sowie dem Drehbuchpreis für den äthiopischen Film "Teza" wirkte die Wahl der Jury etwas uninspiriert. Ebenso bei der Vergabe des Regiepreises an den Russen Alexej German Jr., der in "Paper Soldier" von den Vorbereitungen des ersten bemannten russischen Weltraumfluges 1961 erzählt.

Trotz der mäßigen Filmauswahl hat man nämlich einige preiswürdige Filme übersehen: Kathryn Bigelows Irak-Drama "The Hurt Locker" zum Beispiel - ein überaus realistisch inszeniertes Porträt von US-Soldaten, die im Irak Bomben entschärfen müssen. Den Satz "Krieg ist eine Droge" stellt Bigelow ihrem Film voran - und zeigt Soldaten, die in einem Mix aus Kühnheit und Draufgängertum zu Abhängigen eines Krieges werden, ohne den sie am Ende nicht mehr leben können.

Anne Hathaway kämpft in Jonathan Demmes "Rachel Getting Married" mit ihren zahllosen Drogensüchten, während es bei Modezar Valentino sein Schöpfungsdrang ist, der ihn in der Doku "Valentino: The Last Emperor" zum burlesken Besessenen karikiert.

Der beste Film dieses Wettbewerbs blieb unbeachtet: "Vegas: Based on a True Story" von Amir Naderi schildert den Wahn eines Spielsüchtigen, ohne jemals ein Casino zu zeigen. Stattdessen ist der Mann nach einem Hinweis überzeugt, auf seinem mühsam begrünten Grundstück mitten in der Wüste von Nevada, vor den Toren der Spielermetropole Las Vegas, sei irgendwo ein Koffer mit Geld vergraben. Seine Ehefrau, einst selbst spielsüchtig, verweigert erfolglos die Umgrabungsarbeiten des Gartens, bis ihr selbst der Kick nach dem Geld wieder einschießt. Eine wunderbare Metapher für die ruinöse Kraft der Sucht: Am Ende nimmt sie einem allen Besitz und alle Würde. Wie hier, in "Vegas", wo der umgegrabene Garten und das angeschlossene, verwilderte Haus das Ende einer Existenz markieren. Man hat sich mit eigenen Händen das Grab geschaufelt.

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