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Das Internet wird zunehmend überwacht, war in der letztwöchigen furche, Seite 16 zu lesen. Gleichzeitig gilt auch das Gegenteil: Zensur ist kaum mehr möglich.

Tami Silicio, eine junge Zivilangestellte des US-Verteidigungsministeriums wurde fristlos entlassen: Mit ihrer Digitalkamera hatte sie in Kuwait festgehalten, wie Zinksärge mit gefallenen Amerikanern in eine Maschine der US-Luftwaffe verladen wurden. Sie hatte zudem herausgefunden, dass unter den Toten Soldaten aus Seattle waren. Also schickte sie ihre Fotos übers Internet an eine Freundin an der US-Westküste, und die bot die Aufnahmen der Seattle Times an, die sie auch druckte.

"Eigentlich unterlag so etwas der militärischen Geheimhaltung", urteilt der New Yorker Journalismusprofessor Jay Rosen, "aber seit die Werkzeuge der Journalisten demokratisiert wurden - durch die Digitaltechnologie -, kann es solche Geheimhaltung nicht mehr geben."

Kamera & Internet

Ein ähnlicher Fall: Auf einer Webseite, die sich der Bekämpfung von US-Regierungsgeheimnissen verschrieben hat, wurden vor einigen Wochen Hunderte von Fotos von Zinksärgen gezeigt - die Ankunft von Gefallenen aus dem Irak auf der Dover Air Force Base der US-Luftwaffe. Die Fotos waren vom Pentagon für streng geheim erklärt worden, aber findige Journalisten hatten nicht nur ihre Freigabe erklagt, sondern die Aufnahmen auch sofort ins Internet gestellt. Von dort wurden sie von den Nachrichtenagenturen übernommen (Bild rechts).

Zensur ist so praktisch unmöglich: Was die Feldherren aller Zeiten und Epochen unbekannt halten wollten - vor allem Niederlagen -, ist zum Allgemeingut geworden. Eine Digitalkamera genügt - und schon kann man im Internet als äußerst gefragt gelten. Dafür gibt es spezielle Seiten: Bei www.fotolog.net etwa bringen Hobby- und Berufsfotografen täglich 70.000 Fotos unter, ähnlich arbeitet www.yafro.com.

Bei Yafro gibt es sogar Chats zu den "ausgestellten" Fotos: Da hatte sich mit "FUN11B" als ein in Irak dienender US-Soldat vorgestellt und Fotos irakischer Gefangenen gezeigt, denen Plastiksäcke über die Köpfe gestülpt waren. "Die haben wir alle in einer Nacht gefangen", hatte FUN11B dazu getitelt. Ein empörter Jason Schaefer aus Colorado schrieb daraufhin: "Ich musste mich ja fast übergeben. Sie bringen es dazu, dass ich mich für mein Land auch noch schämen muss." FUN11B's Antwort: "Sie sind sicherlich einer Gehirnwäsche unterzogen worden, wenn sie glauben, wir sind hier, um zu foltern und zu erpressen. Die Köpfe der Gefangenen waren nur kurze Zeit verhüllt, als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme für ihren Transport."

Und: Verrohung durch Sensationsgier: Die Hinrichtung des Amerikaners Nicholas Berg durch Terroristen im Irak wurde als Video - aufgenommen von den Vollziehern der grausigen Tat - auf der Webseite Consumption Junction gezeigt. Binnen 24 Stunden hatten sich weltweit fünf Millionen Menschen diesen schrecklichen Mord heruntergeladen. Und die Mörder des jungen Amerikaners nutzten das Web auch dazu, warnend auf ihre Macht aufmerksam zu machen. "Wir kriegen jeden in unsere Gewalt", wurde zu den Videoaufnahmen gesagt, "wir können jeden ausschalten."

Was unter die Augen kommt

"Die Menschen nehmen mit Kameras alles, was ihnen unter die Augen kommt, auf, und das steht dann binnen Minuten im Internet jedermann zur Verfügung", kommentiert Marc Brown, Gründer des Foto-Onlinearchivs, Buzznet: "Das widerspiegelt das Ethos, die Gesinnung des Internet".

Auch im Vietnamkrieg hatten US-Soldaten und Journalisten Kameras bei sich und fotografierten, was ihnen "festhaltenswert" erschien. Das wurde aber in der Regel nur privat gezeigt. Erregende Szenen wurden zensiert und von der Militärverwaltung zurückgehalten - oder auch veröffentlicht: Das war beim jungen Mädchen der Fall, das vor einer Napalmattacke schreiend davonlief. Hingegen: Als US-Truppen das Massaker gegen die Zivilbevölkerung von My Lai anrichteten, wurde das von einer US-Hubschrauberbesatzung mit Schrecken beobachtet. Der Pilot landete seinen Helikopter vorschriftswidrig und nahm so viele der verschreckten Dorfbewohner wie möglich an Bord. Der Co-Pilot fotografierte das - und die Militärzensur zog die Fotos ein.

Militär unter Beobachtung

Das wäre heute kaum noch möglich. Auch die Skandalfotos von den Folterungen im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib wurden von US-Soldaten "privat" oder "zur Gaudi" aufgenommen und per Internet oder CD verbreitet. E-Mail und Internet von US-Soldaten im Irak unterliegen aus rein praktischen Gründen keiner Zensur: Das wäre zu aufwändig und kaum erfolgreich, meinte dazu ein Pentagonsprecher. Einer militärischen Direktive zufolge ist lediglich die Verbreitung "sensitiver Informationen" untersagt. "Der so genannte Große Bruder ist allgegenwärtig", urteilt Paul Saffo vom amerikanischen Institute of the Future, "mit der heutigen Technologie ist selbst das Militär äußerst transparent geworden."

Für diese Einschätzung spricht der Skandal um Abu Ghraib: "Hier haben Amateuraufnahmen einen gewaltigen, weltweiten politischen Aufruhr erzeugt", so der New Yorker Fotohistoriker A.D. Coleman, "und das wird nicht das letztemal der Fall gewesen sein."

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