"Bist du Journalistin, darfst du dich nicht fürchten oder musst Radieschen züchten", erzählt Jewgenija Albaz über ihren Berufsalltag in Russland.
Russland kam im vorjährigen Pressefreiheitsrating von Reporter ohne Grenzen auf den 147. Platz von 168, gemäß seinem Journalistenverband wurden 1991 bis Oktober 2006 261 Journalisten ermordet und nur 21 Fälle aufgeklärt, das macht es zum drittgefährlichsten Land für Journalisten nach dem Irak und China. Prominentester Fall ist wohl Anna Politkowskaja, wo kürzlich (angebliche) Ermittlungserfolge und Verhaftungen publik gemacht wurden.
Die 1958 in Moskau geborene Jewgenija Albaz zählt zu jenen russischen Journalisten, die kompromisslos wie ihre Studienkollegin Politkowskaja die Wunden des Staates aufdecken. Schon vor der Wende recherchierte sie über den KGB und wurde dafür bedroht, wie auch in postsowjetischen Jahren, als sie in unterschiedlichen Printmedien - unter anderem der Nowaja Gasjeta, für die auch Politkowskaja bis zuletzt arbeitete - publizierte. In Harvard dissertierte sie zum Thema Die Bürokratie und die russische Transformation und lehrte in Yale und Moskau.
Die Furche: Gibt es Themen, die Sie derzeit als russische Journalistin lieber nicht angreifen?
Jewgenija Albaz: Nein. Doch die Recherche ist schwierig. Die Staatsorgane sind nun völlig verschlossen. Das Business hat Angst zu reden. Die Investigation muss sich auf anonyme Quellen berufen, das tötet die Recherche.
Die Furche: Hat sich der Politkowskaja-Mord auf Sie ausgewirkt?
Albaz: Menschlich natürlich, wir studierten gemeinsam und wohnten ein Haus voneinander entfernt, professionell - so wie auch frühere Morde - nicht. Ich lebte unter dem Sowjetsystem - als 1988 meine Tochter zur Welt kam, recherchierte ich zum KGB und erhielt umgehend den Anruf, dass ich nicht nur Journalistin, sondern auch Mutter sei. Bist du Journalist, darfst du dich nicht fürchten oder musst den Beruf aufgeben, über Blumen schreiben oder Radieschen züchten. Ein Mord in Russland ist eine sehr gewöhnliche Sache. Vor drei Jahren wurde der Journalist der Nowaja Gaseta und Dumaabgeordnete Jurij Schtschekotschichin ermordet und nicht einmal Anklage erhoben, dann der amerikanische Herausgeber des russischen Forbes-Journals Paul Chlebnikov, die Aufklärung steht bis heute aus. Anna war eben sehr berühmt, eine harte Kritikerin der Staatsmacht und Putins.
Die Furche: Denken Sie nach den angeblichen Aufdeckungen, dass die Wahrheit ans Licht kommen wird?
Albaz: Wenn russische Staatsorgane - ich vermute Polizeikräfte - verwickelt sind, nein. Er öffnete westlichen Beobachtern, denen bisher schien, die Russen wären noch Bären und ein starker Präsident sei nötig, etwas die Augen und zeigte: Russland hat keinerlei starke Macht, es ist ein Konglomerat unterschiedlicher Businessstrukturen. Die Freiheiten der 1990er-Jahre waren selbst angesichts von Chaos und Kriminalität wertvoller als jetzt der Anspruch auf Sicherheit, die nicht existiert. Da stieg wenigstens jede dritte Zeitung auf die Publikation heiklen Materials ein und ich konnte praktisch in jedes Ministerium gehen, Informationen erhalten, Staatsbeamte befragen. Jetzt ist das fast unmöglich.
Die Furche: War dieser Pluralismus nicht ein "oligarchischer"?
Albaz: Dass die Medien verschiedenen Business-Strukturen gehörten, wahrte gewissen Pluralismus, trotz Einflussnahmen. Oligarchenkapitalismus gab es ja in vielen Ländern. Dem Staat gehörten kaum 34 Prozent der bundesweiten Medien, jetzt sind es 98. Die Leiter der TV-Kanäle und Zeitungen werden jeden Donnerstag ins Kremlbüro von Vizeadministrationschef Wladislaw Surkov gerufen, um zu erfahren, was an welcher Stelle zu bringen ist. Mit gigantischen Löhnen kauft man die Journalisten. Das TV sagt den Leuten auf allen Kanälen ohne Ende: "Don't worry, be happy." Aber die spüren, dass das Lüge ist, Preise und Kriminalität steigen - wie das Niveau der Bestechungsgelder -, ihre Rechte werden verletzt. Wir haben aus Sowjetzeiten damit Erfahrung und können ohne alles leben.
Die Furche: Ihr Sender "Echo Moskwy" hatte 2006 beachtliche 600.000 Hörer.
Albaz: Die Leute haben die Propaganda satt. In jedem Ministerium, im Kreml und in der Regierung läuft Echo Moskwy, weil man nach Information lechzt. Neulich fragte ich meine Hörer, ob sie der Staatsmacht oder Instituten der Zivilgesellschaft mehr trauen, 95,6 Prozent waren für letztere, obwohl in allen Kanälen über den wunderbaren Präsidenten erzählt wird. Putins Rating liegt bei 70 Prozent, aber gefragt, ob man ihm glaubt, stimmen vier Prozent zu.
Die Furche: Stabilität sehen Sie also keine?
Albaz: Nein, weil wir in ein Wahljahr treten. Putin ist ein Schützling von Bürokratie, Nomenklatur und Großbusiness. Die wissen, geht er, kommt die Frage zur Legitimität ihres Kapitals.
Die Furche: Würde mehr Druck vom Westen der russischen Demokratie helfen?
Albaz: Nein. Deren Schicksal hängt von den Bürgern selbst ab. Ich als Demokratin zähle auf keine Hilfe. Heute, da die Ölpreise jenseitig sind, da Europa zu 44 Prozent von unserem Gas abhängig ist, ist es nutzlos, auf Druck aus dem Ausland zu bauen. In den ersten Jahren, als Putin diese Abkömmlinge des KGB an die Macht brachte, hätte man etwas tun können. Jetzt ist es zu spät.
Das Gespräch führte Eduard Steiner in Moskau.