Müssen heute alle lügen?

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Ein Moraltheologe zum Umgang der Journalisten und Medien mit Wahrheit und Lüge

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Ein Moraltheologe zum Umgang der Journalisten und Medien mit Wahrheit und Lüge

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Wer heute die Frage nach der Wahrheit stellt, der lehnt sich weit aus dem Fenster. Denn sowohl der Terminus der Wahrheit als auch die Diskussion um ein solches "generelles" Thema - ähnlich wie um Begriffe, die als Gemeinplätze gelten wie Gerechtigkeit oder Frieden - sind vieldeutig ... Und wer sich dennoch damit beschäftigt, geht ein gewisses Risiko ein, entweder zu kurz, zu einseitig oder eben mit dem ganzen Horizont des Problems überfordert zu sein.

Anders ist das beim vorgelegtenWerk mit dem provokanten Titel: "Zur Lüge verdammt?" In gewohnt souveräner Weise geht der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff den Themenkreis an, spannt den Bogen weit von Politik über die Medien bis hin zur Justiz und der Wissenschaft, alles auf dem Hintergrund von Lüge und Wahrheit.

Im Abschnitt zur Medienethik verbindet Schockenhoff, der wohl heute zu den ausgewiesensten Moraltheologen im deutschen Sprachraum gezählt werden kann, die Dimensionen der demokratischen Öffentlichkeit und der medialen Kommunikation. Beide sind erst Ergebnis der Aufklärung. Er beginnt mit einer historischen Rückblende. Dabei verweist er darauf, dass vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit das öffentliche Leben besonders an Adelshöfen und in städtischen Zünften stattfand. Denn Öffentlichkeit war und ist immer auch mit Macht verbunden.

Heute gelten die Massenmedien als vierte Macht im Staat, neben Legislative, Exekutive und Judikative. Dabei üben die Massenmedien eine Doppelrolle in der demokratischen Gesellschaft aus. Denn zum einen bilden sie das Forum, in dem der öffentliche Austausch vor sich geht, zum anderen sind sie aber selbst ein Machtfaktor. Damit hätten die Medien eine Dienstfunktion, die jedoch gleichzeitig Missbrauchsmöglichkeiten medialer Freiheit nie ganz ausschließt.

Schockenhoff nennt vier berufsethische Verpflichtungen des Journalisten. Eine erste Aufgabe ist die der sorgfältigen Nachrichtenbeschaffung und -sicherung. Mag die Aufarbeitung von Informationen nicht immer problemlos möglich sein (praktische Schwierigkeiten mit der Redaktionsarbeit), gilt die einwandfreie Recherche als unumstößliche Pflicht. Die zweite Regelgruppe, wie sie der Autor nennt, betrifft angemessene Präsentation, Auswahl sowie Gewichtung einzelner Informationsgehalte. Aufgrund der täglichen Fülle der Nachrichten liegt beim Journalisten große Verantwortung, die Aufbereitung dieser Nachrichten adäquat zu bewältigen. Der dritte Punkt ist das journalistische Recht zur eigenen Meinungsäußerung. Die feine Unterscheidung zwischen Nachricht und Meinung (eines Reporters über eine Sachangelegenheit) ist nicht nur bei Lesern oft verschwommen, sondern selbst unter den Journalisten nicht so fest verankert, wie es das Gebot einer verlässlichen Berichterstattung fordern würde. Der vierte Bereich ist der persönliche Ehrenschutz und der Respekt vor Rechten einzelner Personen (Persönlichkeitsrechte wie die Wahrung der Privatsphäre), die als Handelnde beziehungsweise als Opfer Objekt oder Subjekt öffentlicher Berichterstattung sind. Denn das Verhältnis von Meinungsäußerung und Persönlichkeitsschutz stellt einen der heikelsten Punkte im gegenwärtigen Medienrecht dar.

Das in acht Kapitel gegliederte Buch (auch Politik, Medizin, Justiz und Wissenschaft werden behandelt) ist eine Fundgrube für jegliche Verantwortungsträger des öffentlichen Lebens. Abgerundet wird das Opus sowohl durch ein Sach- als auch ein Personenregister. Es ist dem Autor hiermit ein großartiges Werk gelungen, das einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Diskussion bezüglich Lüge und Wahrheit in Fragen der angewandten Ethik leistet!

ZUR LÜGE VERDAMMT? Politik, Medien, Medizin, Justiz, Wissenschaft und die Ethik der Wahrheit. Von Eberhard Schockenhoff. Verlag Herder, Freiburg 2000, geb. 526 Seiten, öS 496,-/e 36,05

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