Nicht nur Blick und Bild im Blick

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Selbstkontrolle als Leser-Anwaltschaft und Wächter vor staatlichen Zugriffen auf die Presse. Presseräte in Deutschland und der Schweiz.

Eine pikante Geschichte, wie man sie von der deutschen Bild-Zeitung fast schon gewohnt ist: Unter den fetten Überschriften "Hier wohnt Bremens schlimmste Asyl-Familie" und "Die Asylabzocker" berichtete das Blatt im März 2004 unter Bekanntgabe der kompletten Anschrift und der Veröffentlichung eines Fotos des Wohnhauses über eine 16-köpfige Asylbewerberfamilie. Man unterstellte der Familie Arbeits- und Sozialhilfebetrug. Eine Krankheit der Mutter wurde als "juristischer Trick" gewertet, um eine drohende Abschiebung zu verhindern. Darüber hinaus warf man der Familie vor, nur mit BMW und E-Klasse-Wagen herumzukurven. Bild äußerte darob die Hoffnung, dass die Familie dies "hoffentlich nicht mehr lange" tun würde: Ein klarer Fall für den Deutschen Presserat, der hier eine schwere Diskriminierung einer Familie ortete und einschritt.

Lobbyist für Pressefreiheit

Ein anderer Fall, der nicht den Persönlichkeitsschutz von Privatpersonen, sondern die Journalisten selbst betrifft: Der deutsche Gesetzgeber legte im Februar seine Pläne offen, nach denen sich all jene Bundesbürger strafbar machen sollen, die von einer Person, die sich "in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum" aufhält, "unbefugt Bildaufnahmen herstellen oder übertragen und dadurch deren höchst persönlichen Lebensbereich verletzen". Für den Presserat bedeutete dies einen Angriff auf investigativen Journalismus - und man protestierte: "Auch künftig muss sichergestellt sein, dass Bildjournalismus mit versteckter Kamera ausnahmsweise möglich und zulässig bleibt, um Missstände aufzudecken. Sämtliche Medienverbände und -unternehmen äußern deshalb Kritik an den aktuellen Gesetzesplänen zur Einführung einer Strafbarkeit für die Herstellung und den Gebrauch von unzulässigen Bildaufnahmen", hieß es in einer Aussendung.

Die Wichtigkeit der funktionierenden Medien-Selbstkontrolle wird an diesen zwei Beispielen besonders deutlich. Dabei erfüllt man zweierlei Funktion: Einmal Anwalt gegenüber dem Leser zu sein und zu verhindern, dass Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Andererseits aber auch, die freie Presse an sich vor staatlichen Zugriffen und Beschränkungen zu schützen.

Etwas, das Ella Wassink, Pressereferentin des Deutschen Presserats bestätigen kann. "Unser Presserat wurde 1956 gegründet, um einer staatlichen Kontrolle zu entgehen", sagt Wassink. "Würde die Presse von einer staatsnahen Organisation kontrolliert, so wäre das fatal".

"Bild" ist mit dabei

In Deutschland setzt sich der Presserat aus Mitgliedern des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, dem Deutschen Journalistenverband und von ver.di Bereich Medien zusammen. Eine Beschwerdekommission behandelt eingehende Beschwerden. Die beiden gleichwertigen Kammern des Presserates tagen je vier Mal jährlich. Nach der Behandlung einer Beschwerde kommt es zu einer Verständigung mit dem betroffenen Medium und - meist - zu einer einvernehmlichen Lösung.

"90 Prozent aller Zeitungsmacher haben sich dem Pressekodex verpflichtet", berichtet Wassink. Deutschlands größte Tageszeitung, Bild, ist bei den Beschwerden "natürlich immer wieder dabei", so Wassink: "Doch das liegt auch daran, dass diese Zeitung von sehr vielen Menschen gelesen wird. Daher gibt es auch mehr Beschwerden".

Noch ein Beispiel: Eine Tageszeitung erhielt eine Rüge, weil sie über den als "Kannibale" bekannt gewordenen Täter Armin M. in allen Details berichtete. Auch davon, wie er Körperteile seiner Opfer abgetrennt und auf welche Weise er sie zubereitet hatte. Der Presserat sah darin einen Verstoß: Zeitungen müssten "auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität verzichten". Die Grundfrage, wie bei fast allen Beschwerden: Wie weit dürfen Journalisten gehen? Was ist berichtenswert, was sensationslüstern?

Nicht selten kommt es auch vor, dass der Deutsche Presserat eingegangene Beschwerden als unbegründet zurückweist. So hatte eine Tageszeitung aufgrund einer Agenturmeldung den Alkoholkonsum von Schauspielern thematisiert. Ein Vorfall, bei dem sich ein Schauspieler und ein Theaterdirektor prügelten, weil sie beide schwer alkoholisiert gewesen sein sollen, hätte die Zunft der Theatermacher angeschwärzt, meinte der Kläger, ein Kommunikationswissenschaftler.

Die Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen: "Zum Vorwurf der Gruppenschelte stellt der Presserat fest, dass der Autor den Vorwurf des Alkoholkonsums keinesfalls gegenüber allen deutschen Bühnen erhebt. Er äußert lediglich seine ganz persönliche Ansicht, dass "viele" Mitarbeiter von Theatern dem Alkohol nicht abgeneigt sind.

Wg. Alkohol am Theater

Eine solche Äußerung ist eine zulässige Wertung, die sich im Rahmen der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit bewegt", hieß es da. Eine Geschichte, die Thomas Bernhard vermutlich gefallen hätte.

Der Unterschied des Deutschen Presserats zu ähnlichen Organisationen liegt im Detail: Während in England, aber auch in der Schweiz und den Niederlanden zahlreiche Mitglieder der Beschwerdekommission beruflich überhaupt nichts mit dem Mediengeschäft zu tun haben, besteht die deutsche Kommission ausschließlich aus Branchenvertretern - von Journalisten über Herausgeber bis hin zu Medienrechtlern.

Ein Punkt, der die unabhängige Selbstkontrolle gefährden könnte? "Nein", entgegnet Ella Wassink. "Denn wenn die Zeitung oder das Unternehmen eines Mitglieds der Kommission von einer Beschwerde betroffen ist, dann muss dieses Mitglied die Sitzung der Kommission verlassen und darf nicht über den Ausgang der Debatte mitentscheiden. Es bekommt dann nur das Ergebnis mitgeteilt und hat es zur Kenntnis zu nehmen".

Der Schweizer "Blick"

Ähnlich verläuft das Procedere beim Schweizer Presserat. Wird etwa eine Beschwerde gegen den eidgenössischen Boulevard-Riesen Blick eingereicht, so darf jenes Presserats-Mitglied, das aus dem Hause Blick kommt, nicht an der Entscheidung des Presserats partizipieren. "Dieses Modell funktioniert ausgezeichnet", findet Martin Künzi, Sekretär des Schweizer Presserats. Rund 100 Beschwerden bearbeiten die Schweizer pro Jahr (Vergleich: In Deutschland sind es ca. 700), eine Kommission aus 21 Personen berät über die Ergebnisse. Interessant: "Bei uns gibt es 15 Journalisten und sechs Publikumsvertreter - aber keinen einzigen Verleger", sagt Künzi. Die Eidgenossen verzichten auf die mächtigen Zeitungsherausgeber, "um Interessenkonflikte zu vermeiden. Außerdem sind Journalisten von ihrem Fachwissen und ihrem Beruf her besser in der Lage, Konflikte dieser Art zu lösen", meint Künzi.

Auch von selbst tätig werden

Finanziert wird der Schweizer Presserat von den Journalistenverbänden der Schweiz, sowie von "freiwilligen Beiträgen großer Verleger". Haben die Verleger über Umwege am Ende doch ihre Finger mit im Spiel? "Nein, denn die Verleger können nicht über die Zusammensetzung der Beschwerdekommission entscheiden. Diese Finanzierung beeinträchtigt den Presserat in keiner Weise, auch wenn es gegenteilige Stimmen gibt", meint Künzi, räumt aber ein: "Die Zusammensetzung des Presserats ist der Schweizer Medienlandschaft angepasst. Ein Großkonzern wie Ringier (dem Blick gehört, Anm.) muss natürlich entsprechende Vertreter im Rat haben".

Die im Jahr 2000 ins Leben gerufene "Stiftung Schweizer Presserat" hat noch eine Besonderheit: "Wir können auch von uns aus tätig werden und Vorgehensweisen, die uns nicht gefallen, aufgreifen", sagt Künzi. "Man muss nicht erst auf eine Beschwerde warten".

Das deutsche wie das Schweizer Modell wären auch in Österreich denkbar, wo sich seit dem Ende des Österreichischen Presserats vor zwei Jahren noch immer keine Lösung abzeichnet. Fest steht: Zu einer wirksamen Selbstkontrolle braucht es den Willen der gesamten Zunft.

Mehr im Internet:

Deutscher Presserat: www.presserat.de

Schweizer Presserat: www.presserat.ch

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