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Nachlese zum (Medien-)Chaos New Orleans, oder:Abenteuerliches rund um "Katrina".

Jim Amoss, Chefredakteur der Times-Picayune, der größten Zeitung von New Orleans (Auflage: 270.000, erscheint seit 1837), handelte 24 Stunden nach dem katastrophalen Landfall des Killer-Hurrikans "Katrina" wie ein Kapitän - er gab den Befehl "Alles von Bord". Denn das Wasser stieg die Treppen hinauf in Richtung Redaktionsräume, wo sich die 240 Verlagsangestellten quasi verschanzt hatten. Die Parkplätze des Hauses 2800 Howard Avenue waren bereits total überflutet. Die schweren Lastwagen, mit denen sonst jeden Morgen die Zeitungsstapel ausgefahren wurden, fuhren an die Auslieferungsrampen - jetzt aber wurden keine druckfrischen Zeitungen, sondern Menschen geladen. Zwei Ausweichquartiere wurden angesteuert: Ein Reporterbüro etwa zehn Kilometer entfernt und die Räume einer kleinen Lokalzeitung, The Courier, im nahe gelegenen Houma. Hier, bei diesem zur Gruppe der New York Timesgehörenden Blatt, wurde eine Art Asylredaktion aufgeschlagen.

Zeitung als pdf-File

An den Druck einer Zeitung war natürlich nicht zu denken. Vielmehr wurden über die Webseite der Times-Picayune (www.nola.com) sporadisch Nachrichten verbreitet, im pdf-Format. Das Portable Document Format erschien den Redakteuren deshalb besonders geeignet, weil es auch fürs Web ein typisches Zeitungslayout ermöglicht.

Reporter und Blogger füllten die erste Webseite mit insgesamt 17 Artikeln und 12 Fotos. Blogger hatten wieder einmal ihre große Zeit. Denn sie, die ihre persönlichen Erlebnisse und Meinungen im Internet platzieren, waren im gesamten Katastrophengebiet tätig. Vielfach waren zumindest anfangs die Zeitungen wie auch Radio- und tv-Stationen auf die Berichte der Blogger angewiesen. Als humoriger Blogger erwies sich beispielsweise Alobar Greywalker aus New Orleans. Als die ersten Sturmböen tobten, schrieb er im Internet: "Ich habe mir 13 hartgekochte Eier gemacht - Hartgekochte halten sich ja auch ohne Kühlung." Zu diesem Zeitpunkt flackerte das Licht bei ihm schon, und sein Computer hatte die ersten Ausfälle. Mehr als drei Dutzend Leser wünschten ihm Glück und bangten um ihn, als er verstummt war - er überlebte.

"13 hartgekochte Eier ..."

Dramatischer klang dieser Blog-Eintrag: "Das ganze Haus ist überflutet, wir haben uns auf den Dachboden geflüchtet, die Luft wird dünn und knapp. Ich hacke jetzt ein Loch ins Dachgebälk, sonst können wir nicht mehr lange atmen."

nola.com verzeichnete unglaubliche Einschaltquoten: 72 Millionen Seiten wurden in den ersten vier Tagen des Chaos angeklickt, 30 Millionen davon an einem einzigen Tag - normal waren in der Vergangenheit sechs Millionen pro Woche. Kein Zweifel: Bei Katastrophen und in Kriegen ist das Internet zuverlässiger, weniger anfällig als traditionelle Medien - der Kommunikationsexperte Jeff Davis dazu: "Dass man eine Druckerei besaß oder über einen Sendemast verfügte - das war nutzlos in New Orleans. Das Web war das bessere Medium."

Online-Nachrichten waren auch anderweitig schnell und zuverlässig: Ein Blogger namens ZuluOne rief um Hilfe - ob ihm jemand ein Foto seines Hauses 2203 Curcor Court in Gulfport übermitteln könne? Diese elektronische Bitte sah der weit entfernt in Gainsville/Florida, "im Trockenen" sitzende Leonard Sprague. Er lud die entsprechende Straße via Google Earth herunter (www.earth.google.com), jene noch ziemlich neue kostenlose Dienst-leistung, die aus dem Weltall heraus Blicke auf Sehenswürdigkeiten und sogar Hinterhöfe anbietet. Binnen 15 Minuten hatte der Fragesteller die Antwort per E-Mail: "Ihr Haus scheint unversehrt, aber das trifft nicht auf Ihre Nachbarn zu."

Die Übermittlung ihrer Berichte stellte die Journalisten angesichts der Stromausfälle und des Versagens der Telefonverbindungen vor schier unüberwindbare Schwierigkeiten. Innovation war angesagt: "Mitunter griffen die Reporter auf Autobatterien zurück, um ihre Laptops aufzuladen und benutzen zu können," hieß es beispielsweise in der New York Times.

Bilder des Rassismus?

Weltweiten Ärger gab es um zwei Fotos, die von Yahoo News verbreitet wurden. Die Aufnahme von Dave Martin (ap) zeigte einen Schwarzen, der - durch eine überflutete Straße watend - einen Kasten Mineralwasser auf den Schultern trug. Bildunterschrift: "Looting a grocery store" (Plünderung). Auf dem Foto von Chris Graythen (Getty Images, afp) waren zwei Weiße, auch im schmutzigen Straßenwasser, mit Lebensmitteltüten zu sehen. Bildunterschrift: "After finding bread and soda from a local grocery store" (Lebensmittel aus einem Laden). Nachdem es in dem Blog Daily Kos hieß, "Wenn du weiß bist, wird es nicht Plündern genannt", gab es einen Sturm der Entrüstung - mehr als 500 Mails nahmen zum Vorwurf Rassismus Stellung.

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