"Nuklearer Holocaust"

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Der 6. August 1945 markiert den Anfang des Kalten Krieges, sagt der Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien, Florian Coulmas.

Die Furche: Herr Coulmas, Sie verwenden in Ihrem Buch über Hiroshima mehrere Male den Begriff "nuklearer Holocaust" - lässt sich Hiroshima mit Auschwitz vergleichen?

Florian Coulmas: Die beiden Namen Hiroshima und Auschwitz sollte man möglichst nicht in einem Atemzug nennen, da gibt es doch erhebliche Unterschiede. Aber international ist der Begriff Holocaust viel weniger für den Genozid an den Juden reserviert als im deutschen Sprachraum. Und als die ersten Amerikaner nach Hiroshima kamen, haben sie von Holocaust gesprochen; das zeigt, dass die Diskussion in Amerika anfangs einen anderen Charakter hatte. Die ersten amerikanischen Augenzeugen waren einfach total erschüttert.

Die Furche: Zensur hat diese Erschütterung sehr bald eingeschränkt.

Coulmas: Es lagen sechs Wochen zwischen der Atombombe und der Besetzung Japans. Sobald die us-Armee im Land war, wurde eine strikte Zensur verhängt. Von dem Zeitpunkt an durfte kein Wort mehr über Hiroshima und Nagasaki veröffentlicht werden - sieben Jahre lang. Und auch in Amerika galt die Sprachregelung, Holocaust nicht mehr für Hiroshima zu verwenden.

Die Furche: Eine gegen die deutsche Bedrohung entwickelte Bombe wird auf Japan geworfen - warum?

Coulmas: In der Geschichtswissenschaft versucht heute niemand mehr, eine monokausale Antwort auf diese Frage zu geben. Aber man sollte nicht nur fragen: Warum wurde die Bombe geworfen? Man sollte auch die Frage stellen: Warum wurde sie nicht nicht geworfen? In den Reihen der amerikanischen Militärs gab es durchaus einflussreiche Stimmen, die sich dagegen aussprachen.

Die Furche: Sie zitieren in Ihrem Buch als einen Gegner des Atombombeneinsatzes den General und späteren Präsidenten Dwight D. Eisenhower.

Coulmas: So wie Eisenhower waren auch an der Entwicklung der Bombe beteiligte Wissenschafter gegen ihren Einsatz. Doch es gab ja keine politische Debatte über die Atombombe; der amerikanische Kongress war völlig unbeteiligt. Das Projekt war so geheim, dass nicht einmal Präsident Truman, bevor er ins Amt gekommen ist, etwas davon wusste - und das war drei Monate vor dem Abwurf. Und aus seinen Äußerungen, muss man schließen, dass er nur sehr vage Vorstellungen über die Gewalt dieser Waffe hatte.

Die Furche: Vom politischen Nutzen ihres Einsatzes war Truman aber zweifellos überzeugt.

Coulmas: Deswegen gehöre ich zu denen, die den 6. August 1945 als den Anfang des Kalten Krieges interpretieren. Nicht der japanischen Regierung wollte man mit der Atombombe die eigene Stärke vor Augen führen - die hätte auch ohne Atombombe bald kapituliert. Der eigentliche Adressat der mit der Atombombe abgegebenen Drohung war Moskau.

Die Furche: Amerika hat die Atombombe mit dem Verweis gerechtfertigt, dass damit der Krieg beendet und eine verlustreiche Invasion Japans mit bis zu einer Million toten Amerikanern verhindert werden konnte.

Coulmas: Von diesen Zahlen weiß man heute, dass sie erst hinterher erfunden wurden. Die us-Militärs im Pazifik waren zu der Zeit fest davon überzeugt, dass Japan auch ohne Invasion kapitulieren wird. Und in den Invasionsplänen wurde mit Verlusten von etwa 40.000 Soldaten kalkuliert.

Die Furche: Und das drohende Beispiel Okinawa?

Coulmas: Gut, die Schlacht um die Insel Okinawa war außerordentlich blutig. Aber es gab auch Inseln, die japanische Militärs kampflos aufgegeben haben. Aus dem einen Fall Okinawa heraus zu schließen, die Invasion der Hauptinsel hätte in einem Blutbad geendet, ist eine reine Vermutung.

Die Furche: Warum ist die Erinnerung an Hiroshima sowohl in Japan als auch in den usa zwiespältig?

Coulmas: Das rührt daher, dass Hiroshima der Schlusspunkt eines japanischen Angriffskrieges war. Auf der anderen Seite waren die Einwohner von Hiroshima und Nagasaki unschuldige Opfer. Diese zwei Aspekte sind sehr schwer zusammenzubringen. Und deshalb sind nach wie vor die Reaktionen sowohl in Japan als auch in den usa so verhärtet. Jetzt, 60 Jahre später, wäre noch einmal Gelegenheit, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Insgesamt nimmt das Interesse an Hiroshima aber erschreckenderweise ab.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Buchtipp:

HIROSHIMA - Geschichte und

Nachgeschichte. Von Florian Coulmas, Verlag C. H. Beck, München 2005, brosch., 138 Seiten, e 9,90

Information zu Hiroshima-Aktionen in Österreich unter www.hiroshima.at

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