Öffentliche Aufgabe

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Medien sind nicht die "Vierte Gewalt" im Staate, eher schon die "Vierte Macht".

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Medien sind nicht die "Vierte Gewalt" im Staate, eher schon die "Vierte Macht".

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Der Gedanke von den Massenmedien als Vierter Gewalt im Staat reicht ins 18. Jahrhundert zurück. Damals sprach der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau in Anlehnung an die auf Thomas Hobbes und Charles de Montesquieu zurückgehende Gewaltenteilung von der Presse als einer "vierten Säule" im Staat. Seither ist diese Metapher immer wieder vorzufinden, nicht zuletzt im langjährigen Kampf um die Pressefreiheit.

In Österreich ist der Begriff von der Presse als Vierter Gewalt ursprünglich mit Vertretern der Wiener rechtstheoretischen Schule wie Hans Kelsen, Karl Merkel und Alfred Verdroß verbunden. Der Salzburger Rechtsphilosoph Rene Marcic, der vor seinem Wirken an der Universität Chefredakteur der Salzburger Nachrichten war, hat ab Mitte der sechziger Jahre den Gedanken von der Presse als Vierter Gewalt in seinen Vorlesungen aufgegriffen. Hohes Ethos sowie moralische Integrität der Journalisten voraussetzend, forderte Marcic Massenmedien und Journalismus auf, sich ihrer Funktion als Wächter im Staat und als Hüter der Demokratie, kurz: als Vierte Gewalt und damit als Kontrollor von Legislative, Exekutive und Judikative, bewußt zu sein.

So sehr der Gedanke nachvollziehbar ist, erscheint die Metapher von den Medien als Vierter Gewalt im Staat dennoch nicht unproblematisch - nicht zuletzt auch angesichts veränderter Strukturen im Mediensystem.

* Weder ist nämlich in den westlichen Demokratien ein Verfassungsauftrag im Sinne einer Vierten Gewalt fest geschrieben, noch verfügt die Mehrzahl der Journalisten über die erforderliche Kompetenz, einen solchen Auftrag funktionsgerecht auszufüllen.

* In einer Zeit, in der in zahlreichen Medienunternehmen der ökonomische Erfolg (Auflage, Reichweite) die journalistische Ethik diktiert, erscheint der Gedanke von den Medien als Vierter Gewalt mehr als fragwürdig (wenn nicht sogar verwerflich).

* Hinzu kommt eine unübersehbare Tendenz zahlreicher Medien zur Skandalisierung, von der wir nicht genau wissen, ob sie der Demokratie förderlich oder abträglich ist (Stichwort: Politikverdrossenheit).

* Nicht zuletzt steht fest, daß zumindest Teile der Massenmedien selbst mächtige Institutionen darstellen, die ihrerseits - noch dazu im Schutz der ihnen zugesprochenen Rolle als Vierter Gewalt - Machtinteressen vertreten, also selbst der Kontrolle bedürf(t)en, also der Kontrolle der Kontrollore.

Diese Kontrolle der Kontrollore sollte im wesentlichen durch die Medienvielfalt selbst und somit durch gegenseitige Beobachtung und Rundumkontrolle durch andere Medien gewährleistet sein. Ob dies in Österreich tatsächlich der Fall ist, darf vorerst bezweifelt werden. Zwar gibt es in zahlreichen Zeitungen mehr oder weniger regelmäßig erscheinende Medienseiten oder zumindest Medienbeiträge. Empirisch überzeugende Befunde zur Rundumkontrolle durch andere Massenmedien liegen aber nicht vor (übrigens auch in Deutschland nicht). Medienberichterstattung bezieht sich in der großen Mehrzahl auf sich selbst und dient, ebenfalls mehrheitlich, dem Eigenlob und nicht etwa der notwendigen Selbstkritik. Allenfalls darf man zahlreichen Printmedien in Österreich bescheinigen, sich - mehr oder weniger kritisch - mit der gedruckten Konkurrenz sowie mit Vorgängen im ORF zu befassen.

Ich selbst stehe der Idee von der "Vierten Gewalt" also skeptisch gegenüber. Schon eher akzeptabel erscheint mir der Gedanke von den Massenmedien als einer "Vierten Macht", zumal Medien tatsächlich mächtig sind und nicht nur "lm Vorhof der Macht" agieren, wie dies der Herausgeber der Kronen Zeitung, Hans Dichand, in seiner Autobiographie euphemistisch behauptet. Wesentlich zutreffender halte ich das Paradigma von der "Öffentlichen Aufgabe", die Journalismus und Medien für die Gesellschaft erfüllen. Es ist nämlich unbestritten, daß Presse und Rundfunk als Träger der öffentlichen Meinung fungieren und damit unverzichtbare Aufgaben für die Gesellschaft wahrnehmen.

Der Autor lehrt Kommunikationswissenschaft in München. Der Text ist Auszug aus einem Vortrag, den der Autor Ende September in Salzburg gehalten hat.

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