Ohne Angst - und ohne Krawatte

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Die Furche-Herausgeber

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Jeder von uns kennt diese Erfahrung: Sobald uns ein politisches Thema wirklich beschäftigt, finden wir dazu ständig neue Bezüge; lesen und hören wir auch aktuelle Meldungen mit einem anderen Wahrnehmungsfilter.

Eben bin ich dabei, für ein Buchmanuskript in alten Erinnerungen an Tibet und den Dalai Lama zu kramen, da lädt US-Präsident Obama den weltweit prominentesten Flüchtling zu sich ins Weiße Haus. Nichts wirklich Neues - der Tibeter war schon wiederholt im Zentrum amerikanischer Macht zu Gast. Und doch ist es eine starke Geste: China ist der größte Kreditgeber Amerikas, das gerade jetzt hart an der Grenze zur Zahlungsunfähigkeit schrammt.

Die alte chinesische Schallplatte

Trotzdem haben die USA dem Erbfeind Chinas in Taiwan eben eine Waffenhilfe von sechs Milliarden Dollar versprochen. Und trotzdem hat Obama auf dem Treffen mit dem Dalai Lama beharrt - wissend, dass Peking die alte Schallplatte neu auflegen wird: Die Begegnung habe die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt, die bilateralen Beziehungen geschädigt usw. usw.

Ich weiß schon: Supermächte können selbstbewusster sein. Und doch erinnere ich mich an die beklemmende Ängstlichkeit heimischer Spitzenpolitik, wann immer der Dalai Lama bei uns auftaucht. Wer da aller in Deckung geht und - "leider, leider“ - schon einen vollen Terminkalender hat. Wie gequält endlich wenigstens einer von unseren Amtsträgern gesprächsbereit ist - aber erst, als bekannt wird, dass sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mutig mit dem Tibeter trifft. Trotzdem muss der Termin in Wien ins Morgengrauen verlegt werden, um nur ja keine Medien dabei zu haben.

"Politics is about interests“, hat der alte Henry Kissinger immer gesagt. Und niemand wird Handelsinteressen gering schätzen (gerade Deutsche und US-Bürger nicht). Aber bisweilen gibt es auch einen Lackmus-Test dafür, wie viele Werte wir noch ernsthaft verteidigen.

Liest man die US-Erklärung zum Treffen mit dem Dalai Lama genauer, dann hat Obama dem Drama Tibets zwar Respekt gezollt, aber Chinas Anspruch nicht verletzt: Nicht im "Oval Office“ hat er den Exil-Führer der Tibeter empfangen, sondern im privaten "Landkartenraum“. Nicht von Autonomie, gar Unabhängigkeit wurde gesprochen, sondern vom "Schutz der religiösen, kulturellen und sprachlichen Identität und der Menschenrechte für die Tibeter in der Volksrepublik China“. Wohlgemerkt: in der Volksrepublik China! Und: Um nur ja nicht den Eindruck des Offiziellen zu erwecken, ließ Obama während des Treffens sogar die Krawatte im Schrank.

Treffen im Morgengrauen

So ist Politik: Ein fein austariertes Spiel von Gesten und Andeutungen. Der Dalai Lama kennt das seit Jahrzehnten. Ich erinnere mich an sein bubenhaftes Lachen, als ich ihm bei seinem jüngsten Österreich-Besuch die Botschaft überbrachte, dass sein Besuch am Ballhausplatz noch vor acht Uhr morgens stattfinden müsste. Fröhlich schlug der tibetische Frühaufsteher eine Zeit zwischen 4.30 und 5.30 Uhr vor. Das aber war für den ausnahmsweise medienscheuen Politiker doch allzu nacht-aktiv …

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