Origami gegen den ATOMBLITZ

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"Niemals vergessen!" muss auch für den Einsatz der ersten Atombomben vor 70 Jahren gelten. Eine Geschichtsreise nach Hiroshima.

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"Niemals vergessen!" muss auch für den Einsatz der ersten Atombomben vor 70 Jahren gelten. Eine Geschichtsreise nach Hiroshima.

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Zum Abschied schenkte mir das Ehepaar Oe einen selbst gefalteten Papierkranich und ein T-Shirt mit der Aufschrift "Hiroshima loves peace". Drei Tage lang war ich ihr Gast. Der biblische Jona kam nach drei Tagen aus dem Wal, ich kam zurück aus einer Stadt, die am 6. August 1945 um 8.15 Uhr in die atomare Hölle gebombt worden war. Jona warnte Ninive vor der Zerstörung und war zornig, als es verschont blieb. Ich bin auch zornig zurückgekommen, anders zornig als Jona, zornig über die Gnadenlosigkeit. Denn Hiroshima ist Beweis und Warnung schlechthin, dass im Krieg auch die "gute Seite" bereit sein kann, für eine Machtdemonstration das Leben Tausender Zivilisten, Frauen, Männer, Kinder zu opfern und niemand wie im Buch Jona einschreitet und fragt: "Mir aber sollte nicht leid sein um Ninive, die große Stadt in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal links und rechts unterscheiden können - und außerdem soviel Vieh?"

Im Puppenhaus

Ein Aufsatz über die Geschichte der guten Beziehungen zwischen Österreich und Japan hatte mir zu einer Einladung verholfen. Das moderne Tokio, das alte Kyoto, Hightech und Teezeremonie, Geishas und Karaoke - interessant, fremd, schön. Auch Jahre danach noch in lebhafter Erinnerung geblieben sind mir aber die Tage mit den Oes in Hiroshima. Der Wiener Weltreisende Herbert Tichy hat einmal gemeint: "Man sagt, wenn man ein Volk kennen lernen will, muss man mit den Männern arbeiten und den Frauen schlafen. Ich sag' auch noch: Man muss dort arm sein." Ich habe nichts davon in Japan gemacht, und ich war auch nicht arm. Was mir aber geholfen hat, einen starken Eindruck zu gewinnen: Ich war klein, oder besser gesagt, ich bin klein geworden in Hiroshima.

In einen japanischen Privathaushalt eingeladen zu sein, habe ich als intimeres Miteinander erlebt als irgendwo anders. Überhaupt nicht despektierlich gemeint, bin ich mir im Oe-Zuhause wie in einem Puppenhaus vorgekommen, ein sehr, sehr ordentlich aufgeräumtes, muss ich dazu sagen. Alles war so putzig und lieb. Und um da nicht wie ein Gulliver herumzutappen, habe ich mich auch klein gemacht. Und das Lehrerehepaar Oe war bemüht, mir alles zu zeigen und zu erklären und mit mir in drei Tagen einen Jahresstoff durchzupauken.

Kenzaburo Oe, der japanische Literatur-Nobelpreisträger, oft als Gewissen der Nation bezeichnet und (nur) Namensvetter meiner Gastgeber, hat diese japanische Eigenheit, alles so gut, so schön, so perfekt wie möglich zu machen in Beziehung zu den Atombomben auf Japan gestellt. In seinem Buch "Hiroshima notes" stellt er folgenden Gedankengang an: Von der ersten Minute nach dem Atom-Blitz an haben die noch mit dem Leben davon Gekommenen daran gearbeitet "diese Hölle wieder so menschenfreundlich wie sie nur können zu machen".

Sie haben das, was von den Toten übrig war, begraben, den Todkranken ein würdiges Sterben ermöglicht, die Verwundeten gepflegt, die Brände gelöscht, den Schutt weggeräumt Oe sagt, das haben die Menschen von Hiroshima natürlich zuerst einmal für sich selbst gemacht.

Gleichzeitig haben sie "aber damit auch die Belastung für die Gewissen derer erleichtert, die die Atombombe geworfen haben". Die Menschen von Hiroshima (und Nagasaki nie vergessen!) haben in die Hölle eine Ausgangstür gebaut, schreibt Oe. Und damit hätten sie auch US-Präsident Harry S. Trumans Schlaf gerettet, den dieser ansonsten angesichts des Unheils, den sein Befehl ausgelöst hat, nie wieder gefunden hätte, glaubt Oe.

Das "Großartigste" der Geschichte

Ich glaube, da täuscht er sich. "So etwas Großartiges hat es noch nie in der Geschichte gegeben", wird Trumans Reaktion nach Abwurf der Bombe zitiert. Und auch für Paul Tibbets, dem Kommandanten des B-29-Bombers "Enola Gay", der die Bombe nach Hiroshima geflogen hat, war Reue Zeit seines Lebens kein Thema: "Ich wusste, wir tun das Richtige. Ich dachte, wir werden viele Menschen töten, aber, bei Gott, auch viele Leben retten, weil wir nicht (in Japan) einmarschieren müssen", sagte er als 90-Jähriger 2005 und: "Ich würde nicht zögern, wenn ich noch einmal die Wahl hätte." Zwar hat es auch in den USA gewichtige Gegner des Atombombeneinsatzes gegeben, unter anderem den General und späteren Präsidenten Dwight D. Eisenhower. Auch der MitKonstrukteur der Atombombe und spätere Physiknobelpreisträger Norman Ramsey soll vorgeschlagen haben "Little boy" vor der Bucht Tokios explodieren zu lassen: "Wer will schon unnütz Menschen sterben lassen, nur um sich selbst besser zu fühlen?"

Die Bombenwerfer haben sich durchgesetzt, die mit dieser Waffe vor allem die Sowjetunion beeindrucken wollten. Oder wie es mir der Japanologe Florian Coulmas (siehe Interview Seite 5) einmal erklärt hat: "Deswegen gehöre ich zu denen, die den 6. August 1945 als den Anfang des Kalten Krieges interpretieren. Nicht der japanischen Regierung wollte man mit der Atombombe die eigene Stärke vor Augen führen - die hätte auch ohne Atombombe bald kapituliert. Der eigentliche Adressat der mit der Atombombe abgegebenen Drohung war Moskau." In seinem Buch "Hiroshima - Geschichte und Nachgeschichte" verwendet Coulmas auch den Begriff "nuklearer Holocaust". Auf die Frage, ob und wie sich Hiroshima mit Auschwitz vergleichen lässt, antwortet er: "Die beiden Namen Hiroshima und Auschwitz sollte man möglichst nicht in einem Atemzug nennen, da gibt es doch erhebliche Unterschiede. Aber international ist der Begriff Holocaust viel weniger für den Genozid an den Juden reserviert als im deutschen Sprachraum. Und als die ersten Amerikaner nach Hiroshima kamen, haben sie von Holocaust gesprochen; das zeigt, dass die Diskussion in Amerika anfangs einen anderen Charakter hatte. Die ersten amerikanischen Augenzeugen waren einfach total erschüttert."

Der Lichtstrahl der Bombe

Erschüttert, besser kleiner geworden, bin ich, als ich mit meinen Oes in Hiroshima eine Überlebende getroffen habe. Als die Bombe kam, war sie 15 Jahre alt und gemeinsam mit ihrer Mutter unterwegs. Es klingt verrückt, doch sie hat es so gesagt: Der Lichtstrahl ist im ersten Moment schön gewesen. Dann hat sich aber der Blick in die Hölle aufgetan, die Gesichter der Menschen sind geschwollen, und es war nichts Menschliches mehr an ihnen zu erkennen.

Ihre Mutter hat sich schützend über sie gebeugt. Als sie nach 20 Jahren Leiden an den Folgen dieses Tages gestorben ist, hat die Tochter die Glasscherben, die ihre Mutter abgefangen hat, in der Urne scheppern gehört - und beschlossen, als Überlebende vor Hiroshima-Besuchern Zeugnis aus der Hölle zu geben.

Noch kleiner geworden bin ich, als ich mit meinen Oes im Museum vor einem steinernen Hauseingang gestanden bin, auf dem noch der Schatten eines Menschen zu erkennen war, der am Morgen des 6. August dort gesessen hat, bis ihn die Bombe auslöschte. Seither symbolisiert dieses Schattenbild für mich die unvorstellbar große Gewalt von Atombomben. Und deswegen habe ich es damals auch hilflos, geradezu lächerlich empfunden, dass man in Hiroshima mit gefalteten Origami-Papierkranichen, auch wenn es Zigtausende sind und es immer mehr werden, gegen eine derartige Macht anzukämpfen versucht.

Mittlerweile denke ich anders. Das verdanke ich meinen Oes in Hiroshima, die mir drei Tage lang gezeigt haben, was der Dichter so beschreibt: "Weich ist stärker als hart. Wasser ist stärker als Fels. Liebe ist stärker als Gewalt." Und das hat ja auch Jona lernen müssen. Vorher noch unerbittlich, weinte er dann um einen verdorrten Rizinusstrauch. Weil er ihn lieb gewonnen hatte.

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