Privat (aber mit Auflagen)

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In Ungarn haben die privaten TV-Sender dem staatlichen Fernsehen den Garaus gemacht.

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In Ungarn haben die privaten TV-Sender dem staatlichen Fernsehen den Garaus gemacht.

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Zwischen 18.30 und 20.30 Uhr müssen mindestens eine halbe Stunde lang Nachrichten ausgestrahlt werden. Eine Mindestzahl nationaler Filme ist vorgeschrieben, auch eine bestimmte Zahl europäischer Filme muss gesendet werden, daneben sind verpflichtende Kultur- und Religionssendungen festgelegt. Schleichwerbung ist völlig verboten: Sponsorenlogos, Product Placement, Sendungspatronanzen darf es nicht geben.

Man könnte meinen, diese Vorgaben gelten für ein öffentlich-rechtliche Medien, zumindest dort, wo es noch ein Fernsehen gibt, das den Namen "öffentlich-rechtlich" verdient.

Doch den obigen Bestimmungen unterliegt ein Privat-TV-Sender. In Ungarn. Solches berichtete Karl Stipsicz, Geschäftsführer von TV2, beim jüngsten Jour Fixe des Verbandes katholischer Publizisten in Wien. Stipsicz, österreichischen Sehern als langjähriger ORF-Korrespondent in Budapest in Erinnerung, brachte ein plastisches Beispiel: Zwei Leute seien bei ihm nur damit beschäftigt, in den Programmen Schleichwerbung zu eliminieren: "Wenn ein Sportler eine Haube mit einem Firmenlogo trägt, muss es verdeckt werden." Natürlich gibt es bei TV2 Werbung - zwölf Minuten pro Stunde sind erlaubt. Aber diese Werbung muss klar gekennzeichnet sein.

Privatfernsehen ist in Ungarn seit 1997 möglich. Innerhalb kürzester Zeit haben zwei private Anstalten dem staatlichen Sender quotenmäßig den Garaus gemacht: Stipsiczs TV2 hält zur Zeit bei 42 Prozent Marktanteil, der Sender RTL Klub kommt auf 28 Prozent. Das staatliche Fernsehen erreiche gerade noch 10 Prozent der Zuschauer und stehe de facto vor dem Konkurs: So müsse es derzeit seine Regionalstudios verkaufen.

Fernsehen ist nach den Worten von Stipsicz aber das wichtigste Medium in Ungarn: Was die Zeit anbelangt, die ein Ungar pro Tag durchschnittlich vor dem Bildschirm verbringt, liegt das Land im europäischen "Spitzenfeld". Auch im Vergleich zu den anderen Medien wirkt das Fernsehen übermächtig: Die größte Tageszeitung Nepszabadsag, die heute dem Bertelsmann-Konzern gehört, bringt es gerade auf eine verkaufte Auflage von 200.000 - bei einer Bevölkerung von zehn Millionen Ungarn. Ein Problem, mit dem sich auch TV2 auseinander setzen muss, ist die große Kluft, die zwischen dem - kleinen, ja immer kleiner werdenden urbanen Ungarn (außer Budapest, Györ und Szekesfehervar verlieren alle Städte an Einwohnern) und dem ländlich geprägten Großteil des Landes. Ein Drittel der Bevölkerung Ungarns ist sehr arm, und Minderheiten wie die knapp eine Million Roma leben am gesellschaftlichen Rand. TV2 beschäftigt daher unter anderem eine Roma als Nachrichtensprecherin - um die gesellschaftliche der Volksgruppe zu fördern.

Die soziale Struktur Ungarns hat auch großen Einfluss auf die Art des Programms im Sender TV2, der mehrheitlich der US-Investorengruppe Scandinavian Broadcasting System gehört (zu den Minderheitsgesellschaftern zählt unter anderem der Münchner Filmhändler Herbert Kloiber, der in Österreich den privaten Kabel-TV-Kanal ATV kontrolliert). Zu den absoluten Quotenhits in Ungarn zählen "Telenovelas": Diese aus Lateinamerika stammenden Seifenopern haben nach Einschätzung Stipsiczs die Funktion moderner Märchen: Sie spiegeln die Sehnsucht nach Geborgenheit wider - und auch feudale Lebensmuster, die besonders in Ländern populär seien, in denen die Aufklärung nicht so stark Fuß gefasst habe wie in Westeuropa.

Reality TV gibt es in Ungarn zur Zeit nicht. Man wolle abwarten, wie sich Big Brother in Polen, wo zur Zeit die erste Staffel gesendet werde, und wo eine vergleichbare Situation wie in Ungarn herrsche, entwickelt. Insgesamt ist TV 2-Macher Stipsicz aber skeptisch, was den Erfolg der Reality-Formate betrifft: "Dazu braucht es die westliche Ausgeruhtheit und Problemlosigkeit." Für ungarische Augen sehe eine Sendung wie Big Brother "ein wenig nihilistisch" aus. Ein "ungarisches" Sendungskonzept wäre eher: "Zehn Leute bauen zusammen ein Haus" ...

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