"Pussy Riot steht für eine neue Generation“

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Monica Rüthers ist Professorin für osteuropäische Geschichte an der Universität Hamburg. Sie sieht in Pussy Riot nicht nur das Aufbegehren gegen die Gewalt des Regimes Putin, sondern auch gegen ein antiquiertes Frauenbild.

Die Furche: Sie sehen Pussy Riot und die Feministinnengruppe Femen in der Ukraine nicht nur als politische Protestgruppen, sondern auch als Speerspitzen eines Aufstandes gegen das Patriarchat in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Pussy Riot als Ikonen eines neuen Feminismus?

Monica Rüthers: Ja, für Pussy Riot sind die Geschlechterverhältnisse im System Putin zutiefst politisch. Diese Frauen sind mit den neo-traditionalistischen Rollenverteilungen nicht mehr einverstanden, die sich nach den chaotischen 90er-Jahren als Teil der Stabilisierung durchgesetzt haben. Putin als Macho-Held verkörperte das neue Männlichkeitsideal.

Die Furche: Und er pflegt die Männlichkeits-ideale exzessiv. Zuerst war es Judo, dann Fischen und die Jagd, dann Ausflüge mit Rocker-Motorradgangs.

Rüthers: Einsätze als Pilot von Löschflugzeugen nicht zu vergessen. Das war eine auch fast geschlechterhafte Rollenaufteilung während des Interregnums von Dimitrij Medwedew. Zu Hause am grünen Tisch regierte Medwedew, besorgte sozusagen den Haushalt, während Putin draußen an der Front war und sprichwörtlich das Feuer löschte.

Die Furche: Frauen eignen sich da nur noch als Bewunderer.

Rüthers: Was aber nicht heißt, dass es nicht doch Tausende Russinen gibt, die sehr gut ausgebildet sind und ein gutes Auftreten und Führungsqualitäten haben. Aber im Gesamten gesehen, sind sie aus dem öffentlichen Leben verschwunden.

Die Furche: Bis eben Pussy Riot auftauchte.

Rüthers: Pussy Riot bemüht sich tatsächlich um ein neues Rollenbild. Die Gruppe besteht nicht aus den hyperfemininen "neuen“ Russinnen oder älteren, sowjetisch sozialisierten sogenannten "Tanten“, sondern aus selbstbewussten Politaktivistinnen, die das System stürzen wollen. Sie knüpfen an Traditionen sowjetischer Intellektueller und Dissidentinnen an. Die Frontfrau Tolokonnikowa studiert Philosophie und war auch in einer Künstlergruppe, die dem Moskauer Konzeptualismus verpflichtet ist. Die Dissidenten der 60er-Jahre bekannten sich öffentlich als die wahren Kommunisten. Sie forderten von der Regierung die Einhaltung der moralischen Prinzipien und der eigenen Gesetze ein. Sie haben auch die offiziell üblichen Selbstbeschuldigungsfloskeln vor Gericht verweigert. So wie eben die Vertreterinnen von Pussy Riot heute.

Die Furche: Glauben Sie, dass der Schauprozess gegen die Musikerinnen Putin geschadet hat?

Rüthers: Im Ausland sicher. Aber in Russland selbst finden die meisten Leute, die Mädchen hätten sich daneben benommen und tun sich schwer damit, Solidarität zu zeigen. Für sie sind die raffinierten Anspielungen auf die Dissidenten oder auf den Konzeptualismus nicht nachvollziehbar.

Die Furche: Sie haben das sowjetische Frauenbild erwähnt. War nicht die selbstständige arbeitende Frau gerade das Ideal der kommunistischen Gesellschaft?

Rüthers: Man hat ja auch gesagt, wir brauchen keinen Feminismus, weil bei uns die Frauen emanzipiert sind. In Wahrheit ist trotz der Berufstätigkeit vieles beim Alten geblieben. Frauen waren natürlich immer für Haushalt und Kinder zuständig. Es gab also ein Empowerment von Frauen, das galt aber vor allem im Alltag. Beruflich stießen auch sowjetische Frauen an eine gläserne Decke. Man kann das als die "Macht der Garderobieren“ bezeichnen.

Die Furche: Einmal abgesehen von Klischees und ihrem Missbrauch: Wie geht es dem vielzitierten russischen Mittelstand?

Rüthers: Der Mittelstand ist zumeist damit beschäftigt, sich durchzubringen und für die Kinder zu sorgen. Die Leute, die ich kenne sagen auch, ich habe kein Geld auf der Bank, ich investiere alles in meine Kinder. Pussy Riot stehen für eine neue Generation. Noch ist nicht für alle verständlich, was die machen, aber die Herrscher fürchten Frauenproteste. Wenn diese Generation in 10 oder 20 Jahren an den Hebeln sitzt, wird Russland ganz anders aussehen. (tan)

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