Werbung
Werbung
Werbung

Helga Maria Wolf hat Radio-Erlebnisse gesammelt. Ex-ZDF-Chef Dieter Stolte analysiert das Fernsehen.

Legendär war sie jedenfalls: 1992 erhielt die Radio-Sendung "Autofahrer unterwegs" einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als "älteste bestehende tägliche Radiosendung der Welt". 1985 schon konnte Moderatorinnen-Legende Rosemarie Isopp die zehntausendste Ausgabe der mittäglichen Sendung begleiten, erst 1999 wurde die Sendung nach mehr als 15.000-maligem On air abgesetzt: "Die wichtigste Informationssendung, von den Nachrichten abgesehen, war damals Autofahrer unterwegs'. Es war fast selbstverständlich, dieser Sendung in der Mittagszeit zuzuhören, auch in vielen Gasthäusern war das möglich." So beschreibt Hörer Günter Antony sein Radio-Lebensgefühl. Selbige "persönliche Radiogeschichte" ist in einem der 70 Beiträge von Autor(inn)en der Jahrgänge 1912 bis 1953 zu lesen, die die emeritierte Radiomacherin Helga Maria Wolf im Band "Auf Ätherwellen" gesammelt hat.

"Autofahrer unterwegs", um beim Beispiel zu bleiben, war erfunden worden, um den Absatz von Autoradios zu pushen. Auch solches erfährt man in der verschriftlichten Sammlung von Oral History, die das Buch darstellt. Und viel mehr: Wie man mit einem "Detektor" Radio hörte, wie der "Kuckuck", die Bombenangriffswarnung im Krieg, erlebt wurde, oder dass sich der Radioapparat in den frühen Jahren auf einem Ehrenplatz in der Wohnung - vergleichbar dem Herrgottswinkel - befand.

Die Sammlung kurzer Geschichten erweist sich fürs Thema als Segen, man erlebt vieles aus unterschiedlicher Perspektive nach und wird an Altbekanntes wie Heinz Conrads' allsonntägliches "Was gibt es Neues?" ebenso erinnert wie ans "Wunschkonzert", an dessen Spitznamen "Erbschleichersendung" sich auch der Rezensent aus Kindertagen erinnert.

In den letzten beiden Jahren beging der orf einige Radiojubiläen (etwa die Gründung der orfVorgängerin ravag 1924). Helga Maria Wolfs Sammelband ist aus diesem Anlass entstanden. Aber auch und gerade im besonders zeitgeschichtsschwangeren Jahr 2005 sind die niedergeschriebenen Radioerlebnis-Miniaturen eine mehr als angebrachte Lektüre.

AUF ÄTHERWELLEN.

Persönliche Radiogeschichte(n).

Hg. Helga Maria Wolf. Böhlau Verlag, Wien 2004. 240 Seiten geb., e 25,60

Zwanzig Jahre, bis 2002, war Dieter Stolte Intendant des zdf, der zweiten öffentlich-rechtlichen tv-Anstalt in Deutschland. Beim Nachbarn gilt der heutige Herausgeber der Welt und der Berliner Morgenpost nach wie vor als Gralshüter öffentlich-rechtlichen Fernsehens: Auch in seinem jüngsten Buch zum Thema - "Wie das Fernsehen das Menschenbild verändert" - hat sich Stolte diesem Anliegen verschrieben.

In zehn Kapiteln nähert er sich einem durch das Fernsehen "gewandelten Menschenbild" und bringt viele Beispiele und Argumente - auch aus seiner persönlichen Praxis. Dabei fallen nahezu alle Reizwörter moderner Medienkritik wie "Quote", Neil Postmans Postulat "Wir amüsieren uns zu Tode" oder die "Verführbarkeit" des Menschen durchs Fernsehen; Stolte will dann aber auf positiv besetzte Werte wie des Menschen "Bestreben nach Gestaltung" oder sein "Bedürfnis nach Verwurzelung" hinaus, um schließlich bei der "Unantastbarkeit seiner Würde" (und wie das Fernsehen dies fördert oder verhindert) zu landen.

Alles hehre Grundsätze und bedenkenswerte Überlegungen, die - wie gesagt - auch kenntnisreich untermauert sind. Das Problem von Stoltes Analyse ist jedoch, dass er sich im Buch nicht von der Position als (emeritierter) Chef eines öffentlich-rechtlichen Senders zu emanzipieren vermag, sodass sein - auch vom Rezensenten im Prinzip geteiltes - Plädoyer für öffentlich-rechtliches tv immer wieder zur zdf-Beweihräucherung wird. Die Tendenz lautet: Die Privatsender sind nur der Quote verfallen, während das zdf "Quote durch Qualität" bietet. Oder: Das Gerichtsfernsehen habe im zdf "öffentlich-rechtlich seriös" begonnen, nun werde es aber bei rtl und SAT.1 "in aller emotionalen Überzeichnung und Übersteigerung ausgeschlachtet'". Oder: Weil Thomas Gottschalk in der zdf-Show "Wetten dass" unmittelbar nach Beginn des Irakkriegs 2003 Udo Jürgens ein Antikriegslied habe singen lassen, habe er "überzeugend die rechten Worte und Gedanken" gefunden. Zur Rechtfertigung dieser tv-Großtat wird Stolte - scheint ihm das nicht peinlich?! - dann gar lyrisch: "Wenn man sich im Keller oder Wald fürchtet, fängt man an zu singen."

WIE DAS FERNSEHEN DAS MENSCHENBILD VERÄNDERT

Von Dieter Stolte. C. H. Beck Verlag, München 2004. 208 S. geb., e 20,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung