Reality TV untersucht

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Bevor sich die Hörer- und Sehervertretung des ORF auflöst, ließ sie Taxi Orange untersuchen.

Einmal im Jahr darf sich die Hörer- und Sehervertretung etwas wünschen. Vom ORF. 2001 galt dieser - quasi letzte - Wunsch der Erhebung der "Publikumseinstellung zu Real Life-Shows". Anlass bot das im Herbst des Vorjahres erstmals und im Frühjahr 2001 erneut ins ORF-Programm gestellte Taxi Orange, mit der der heimische öffentlich-rechtliche Sender ein Format wieder aufnahm, das andernorts bereits quotenträchtig und vieldiskutiert im Einsatz war.

Die ORF-Markt- und -Meinungsforschung hat sich also daran gemacht während der Ausstrahlung von Taxi Orange II (das auf einen Bekanntheitsgrad von 88 Prozent kam) eine Studie zum Phänomen des Reality TV durchzuführen. Im Zentrum die Frage nach der Rezeption und Bewertung von Real Life-Formaten am angeführten Beispiel.

Vorgestellt wurden die eigentlich wenig überraschenden Ergebnisse jüngst bei einer Pressekonferenz: Taxi Orange hat sich als Jugendformat etabliert, wobei sich die zweite Staffel viel stärker als zielgruppenspezifisches Format erwies. Nutzten nämlich ältere Publikumsgruppen TXO I etwas mehr als Teil zwei, blieb das Interesse der unter 30-Jährigen ungebrochen, vor allem jenes der Kinder bis 11 Jahren. 64 Prozent dieser Altersgruppe (von 3 bis 11) gehörten zum weitesten Seherkreis, 7 Prozent weniger als bei der Gruppe der 12- bis 29-Jährigen.

13 Jahre, weibl., West

Der typische Seher ist dann auch "ein 13-jähriges Mädchen aus dem Westen Österreichs", brachte Michaela Stefan, Familienvertreterin in der Hörer- und Sehervertretung, dieses Ergebnis auf den Punkt. Dieses mag wohl auch zu jenen gehören, die eine dritte Staffel, durchaus befürworten. Freilich, so Stefan, müsste eine Neuauflage nach Expertenmeinung doch einige Änderungen beinhalten, müsste der "ORF dem Verdacht, die Geschehnisse zu steuern, entgegenwirken".

TXO sollte sich demnach noch mehr von deutschen Formaten abgrenzen. Von Big Brother etwa, das neben TXO unter den Befragten zum Synonym für Reality Sendungen wurde. Wobei die beiden Sendungen in "der Wahrnehmung der Zuseher recht unterschiedlich positioniert sind. Während Big Brother eher als geschmacklos eingestuft wird, schätzt man Taxi Orange als sympathische und gewaltfreie Sendung". Als Sendung, die durch die Auflage an die Kandidaten, sich den Lebensunterhalt zu verdienen und damit den Bezug zur Außenwelt nicht zu verlieren, weit näher an der Realität ist, als die Beobachtungen im Container. Dass TXO aber dann tatsächlich eine Sendung für jüngere Zuschauer sei - für die sie 70 Prozent halten - will rund die Hälfte der über 14-Jährigen doch nicht ganz glauben. Sie sind der Meinung, dass man sich gegen solche Formate wehren müsse.

Damit hätte man aber wohl wenig Chancen, glaubt man der Zeit-Kolumnistin Barbara Sichtermann. "Der Mensch ist ein zu sehr ,gaffendes Wesen'", zitierte sie Ende September bei einer Tagung in Wien Voltaire, "als dass Reality ein Ende finden könnte". Medien kämen mit Reality unter anderem ihrer ureigensten Funktion der Befriedigung menschlicher Neugier und Voyeurismus nach. Gerade darum sehen wohl auch Kinder und Jugendliche Real Life-Formate. Ihnen geht es weniger um die einzelnen Themen, ihnen geht es vielmehr um die konkreten Ereignisse und das Verhalten der Kandidaten, sie wollen bei TXO gruppendynamische Prozesse und Interaktionen der Kandidaten beobachten. Können sich aber auch durchaus einbezogen fühlen, mitleben mit einzelnen Mitspielern - ein Faktor, den die Untersuchung als verantwortlich für den Erfolg des Formats begreift.

Dass TXO von der jugendlichen Zielgruppe eindeutig als interressant eingestuft wird, wird wohl auch die künftige Geschäftsführung des ORF bedenken. Ebenso wie die Empfehlungen zum Umgang mit dem Thema "Gewalt in den Medien", die Hans Matzenauer, Noch-Vorsitzender der Hörer- und Sehervertretung der beim gleichen Pressegespräch präsentierte, als "Anregung für das Nachfolgegremium Publikumsrat, den neuen Stiftungsrat und die neue Geschäftsführung". Als Resultat der über die Jahre gewonnenen Erkenntnisse empfiehlt die Hörer- und Sehervertretung eindringlich, bei allen Darstellungen die Menschenwürde zu achten, Wert auf Programmierung in Zeitzonen zu legen, um sicherzustellen, "dass Kinder (bis 20 Uhr 15) und Jugendliche (bis 22 Uhr) auch ohne Aufsicht Erwachsener mit keinen für sie ungeeigneten Inhalten konfrontiert werden".

Sensibilisierung

Bei Werbung und Programmankündigungen sollte man sich ebenso Beschränkungen auferlegen, fordert das Gremium, Trailer oder Spots für Kinder ungeeignete Sendungen sollten auf spätere Sendezeiten geschoben werden. Da es unrealistisch ist, Gewalt aus dem Programm gänzlich herauszuhalten, empfiehlt es sich, Begleitmaßnahmen zu setzen, Hinweise und Tipps zu geben, wie man mit schrecklichen und erschreckenden Bildern umgehen kann, wie Konflikte und Ängste aufgearbeitet werden können.

Eine wieder brandaktuelle Forderung, die sich nicht ausschließlich an den ORF wendet. Aber auch. Er hat zumindest die besten Möglichkeiten (wenn schon nicht Mittel dafür locker gemacht werden wollen oder können), die Öffentlichkeit gegenüber dem Thema Gewalt zu sensibilisieren, Ursachen und Wirkungen in kindgerechten Sendeformen aufzubereiten. Bleibt zu hoffen, dass die Ideen der alten ORF-Gremien von den neuen auch aufgegriffen werden, dass sich unter den gewählten und bestimmten Räten vehemente und auch kompetente Vertreter für die Sache der Kinder finden. Unterstützung hätten sie vielerorts.

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