Satanische Allianzen

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Die Zahl der russischen Staatsbürger, die in Österreich leben und arbeiten, ist innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 4.000 auf 27.000 gestiegen (plus 600 Prozent). Es handelt sich dabei nicht um tschetschenische Flüchtlinge oder die kleptokratischen "Novy Riches“ der 90er-Jahre. Es sind Angestellte und ihre Familien, Wirtschaftstreibende und IT-Experten - mit einem Wort die selbst von xenophoben Österreichern hoch willkommenen, gut gebildeten Eliten. Aber was tun sie hier? Warum packt einer oder eine Koffer, Kind und Kegel, wenn er oder sie alle Voraussetzungen hätte, zu Hause Karriere zu machen?

Ein kurzer Blick nach Moskau genügt schon, um ihre Motive zu erhellen. Dort wird derzeit drei jungen Regimekritikerinnen wegen angeblicher antireligiöser Hetze der Schauprozess gemacht.

Nadjeschda Tolokonnikowas, Maria Aljochins und Jekaterina Samuzewitschs Verbrechen war es, in der Erlöserkirche in Moskau laut tanzend und "Maria erlöse uns von Putin“-singend gegen die Verhaberung der russischen Orthodoxie mit der politischen Nomenklatura zu protestieren. Man kann diese Aktion der Gruppe "Pussy Riot“ wenig lustig oder geschmacklos finden oder vielleicht originell. Aber in Putins Reich lautet das Urteil für solchen Scherz sieben Jahre Straflager.

Entwürdigte Fundamente

Warum? Die "Herabwürdigung der Fundamente von Staat und Kirche“ beklagt der Staatsanwalt. Vor Gericht fragt er deshalb eine Zeugin, ob Körperbewegungen der Punkerinnen als "teuflisch“ anzusehen wären. Von einem "Hexensabbat“ spricht die Zeugin allen ernstes und ihr wird nicht widersprochen. Die Anklage hat weiters herausgefunden, die drei Frauen hätten gegen den Beschluss einer Synode aus dem Jahr 691(sic) verstoßen, der "widernatürliche Schreie“ in der Kirche verbietet.

Es wäre nun zu kurz gegriffen, Wladimir Putin vorzuwerfen, er wolle in seinem Land eine harte Hand demonstrieren. Er tut noch viel mehr: Er nimmt bittere Rache an jenen Bürgern, die vor seiner Wiederwahl gegen ihn aufgestanden sind. Als Nächstes wird es wohl den Blogger und Anwalt Alexej Nawalny erwischen. Kritische Journalisten werden von Polizei und Geheimdienst ohnehin seit Jahren bedroht und verfolgt.

Dabei ist es nicht nur egal, sondern vielmehr beabsichtigt, die Gerichtsverfahren als Farce erscheinen zu lassen. Diese Botschaft soll zweifellos auch der Prozess gegen Pussy Riot vermitteln: Wenn ihr zu meinen Feinden werdet, habt ihr nichts zu erwarten, als eine kafkaeske Justiz-Maschinerie, die euch zu Terroisten, Betrügern und Großkriminellen - und wenn es gerade passt - auch zu Hexen und Teufeln macht.

Die Kirche als williger Helfer

Putins Staat kann sich dabei der Unterstützung einer russisch-orthodoxen Kirche sicher sein, die jedes moralische Maß verloren hat. Der russische Patriarch Kyrill I. gefällt sich darin, den Politprotest des Frauengrüppchens als kirchenfeindliche Kampagne und als regelrechte Christenverfolgung zu brandmarken. Wäre er nicht so folgenschwer, der Vorwurf würde so lächerlich wirken wie Kyrills Wahlempfehlung für Putin, dessen Politik er als "Wunder Gottes“ bezeichnete.

Als Dank werden jetzt überall im Land Kirchen errichtet, Hunderte an der Zahl. Die russische Armee bekommt sogar aufblasbare Kapellen mit ins Feld geliefert. Das ist offenbar wichtiger als sich um die Seelen der Gläubigen zu sorgen oder Nachsicht mit drei jungen Künstlerinnen zu üben.

Doch es gibt keine Gnade, nicht bei Putin und nicht bei seinen machthungrigen Freunden. Das Exempel wird statuiert. Und dann wird Schweigen sein. Aber das wird nicht alles sein. Denn in all der bleiernen Stille werden Tausende junge Russen ihre Koffer packen und dorthin gehen, wo sie noch Luft zum Atmen finden und die Freiheit zu reden. Das wird Zar Putins klägliches Erbe sein: die neue große russische Diaspora.

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