Schnelle Fakten. Leider falsch.

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CNN - Mutter aller Nachrichtensender - hat zu Hause und weltweit Konkurrenz bekommen. Und hat den seriösen Ruf nachhaltig verspielt.

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CNN - Mutter aller Nachrichtensender - hat zu Hause und weltweit Konkurrenz bekommen. Und hat den seriösen Ruf nachhaltig verspielt.

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Ich lerne mehr von CNN als von den CIA-Berichten, die auf meinem Schreibtisch landen", sagte der damalige US-Präsident Bush: Der wahre Sieger des Golfkriegs war nämlich nicht die von den USA geführte Allianz gegen Saddam Hussein - diese erreichte ihr Kriegsziel nur bedingt, sondern der amerikanische Nachrichtensender CNN.

Als die amerikanische Regierung unmittelbar vor der Bombardierung Bagdads alle Reporter aufforderte, die irakische Hauptstadt zu verlassen, blieben CNN-Reporter Peter Arnett und sein Team zurück. Das taten zwar auch viele Korrespondenten anderer Fernsehanstalten, doch nur CNN hatte die notwendige Ausrüstung vor Ort, um auch nach Zusammenbruch des irakischen Telefon- und Stromnetzes aktuelle und professionelle Live-Bilder zu senden. Peter Arnett wurde über Nacht zum Star, und CNN war mit einem Schlag zur bekanntesten Fernsehstation der Welt aufgestiegen.

Peter Arnett's Fall CNN wurde 1980 vom amerikanischen Milliardär Ted Turner gegründet. Anfangs wurde Turner von den großen US-Stationen wie CBS, NBC oder ABC bestenfalls belächelt. Die Idee, einen reinen Nachrichtensender zu betreiben, schien damals absurd. Außerdem konnte CNN anfangs nur von wenigen amerikanischen Haushalten empfangen werden, und selbst heute können nur diejenigen Amerikaner, die über einen Kabelanschluß verfügen (weniger als ein Drittel aller US-Haushalte) das Programm verfolgen. Doch Turner hatte genug Weitblick und ausreichend Kapital, um die verlustreichen Anfangsjahre durchzustehen. Die strategisch wichtigste Entscheidung war es jedoch, sich nicht ausschließlich auf den Heimmarkt USA zu konzentrieren, sondern via Satellit potentielle Fernsehkunden auf der ganzen Welt anzusprechen.

Doch der gleiche Peter Arnett, der für den größten Triumph von CNN mitverantwortlich war, steht jetzt im Mittelpunkt der größten Krise in der Geschichte des Nachrichtensenders. Ted Turner, der CNN vor zwei Jahren für 7,5 Milliarden Dollar an Time-Warner verkauft hatte, aber als Time-Warner-Vizedirektor nach wie vor für CNN verantwortlich ist, sprach gar von der größten Katastrophe seines Lebens: "Die Scham, die ich empfinde, ist unbeschreiblich! Ich habe mich während meines 59jährigen Lebens noch nie so schrecklich gefühlt, wie jetzt. Nicht als mein Vater Selbstmord beging, nicht als meine ersten beiden Ehen in die Brüche gingen, und auch nicht als 1996 meine Braves (Turner ist stolzer Besitzer des Baseballteams Atlanta Braves) die World Series gegen die New York Yankees verloren haben ..."

Was war passiert? Am 7. Juni sendete CNN einen Bericht mit dem Titel "Valley of Death" (Tal des Todes): Peter Arnett berichtete exklusiv über eine Geheimaktion des amerikanischen Militärs während des Vietnamkriegs. In diesem Bericht behauptete Arnett, daß das amerikanische Militär mit Giftgas gegen Überläufer aus den eigenen Reihen vorgegangen wäre.

Wie erhofft, sorgte die Valley-of-Death-Geschichte für viel Aufsehen und für tolle Einschaltquoten, doch schon nach wenigen Tagen mußte CNN einen Rückzieher machen: Die massiven Anschuldigungen konnten nicht belegt werden, angebliche Interviewpartner beklagten sich, daß ihre Aussagen unvollständig und aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt wurden, und eine Untersuchung des Pentagons ergab keine Hinweise für den Einsatz von Giftgas: CNN mußte sich entschuldigen.

Das war aber erst des Debakels erster Teil. Peter Arnett, offensichtlich um seinen Ruf als seriöser Reporter bemüht, erklärte nämlich, er selbst habe gar nicht gewußt, wie schlecht die Geschichte recherchiert war: "Schließlich habe ich ja nur den Text, den man mir vorgelegt hat, gelesen, ohne auch nur ein Komma zu ändern!", war seine "Entschuldigung" (In derselben Woche erschien im Time-Magazin, das ebenfalls dem Time-Warner-Konzern gehört, die gleiche Geschichte, bei der Arnett als Koautor zeichnete). Mehrere Köpfe rollten, Arnett durfte bleiben.

Seither fragt man sich bei CNN, wie es zu diesem Unglück, das bisher zwar kaum Seheranteile gekostet, aber den Ruf CNNs als seriöser Nachrichtensender nachhaltig beschädigt hat, kommen konnte. Tom Johnson, seit 1990 CNN-Geschäftsführer: "Ich habe immer befürchtet, daß uns einmal bei einer Live-Berichterstattung ein grober Schnitzer passiert. Da arbeitet man schließlich ohne Sicherheitsnetz. Daß aber ein routiniertes Journalistenteam über acht Monate an einer Geschichte arbeitet, mehr als 200 Interviews führt, alle Zeit der Welt hat, um die Fakten zu checken, und dann mit so einer Geschichte an die Öffentlichkeit geht, ist mir unbegreiflich."

Der Grund für das Desaster liegt aber wohl weniger darin, daß sich ein paar ehrgeizige Journalisten in ihrer Begeisterung, den Knüller zu haben, von ihrer Phantasie anstatt von den Fakten leiten ließen. So etwas wird wohl immer wieder passieren. Die Frage lautet vielmehr, wieso die Programmverantwortlichen so erpicht darauf waren, die Geschichte so schnell zu senden.

Acht Minuten zu spät Während des Golfkriegs war CNN der einzige 24-Stunden-Nachrichtensender der Welt. Der Erfolg von CNN führte jedoch dazu, daß es in den USA mittlerweile mehrere Nachrichtensender gibt: Rupert Murdoch leistet sich mit gewaltigem Finanzaufwand den Fox-News Channel. Damit verdient Murdoch zwar (noch) kein Geld, aber CNN kostet die unliebsame Konkurrenz Seheranteile, und damit Werbeeinnahmen. Seit 1996 betreibt auch der amerikanische TV-Riese NBC gemeinsam mit Bill Gates' Software-Imperium Microsoft den Kanal MSNBC, der auch übers Internet empfangen werden kann. Als am 17. Juli 1996 die TWA-Maschine von New York nach London explodierte, brachte MSNBC die Geschichte acht Minuten vor CNN. Ein Debakel(!) für CNN, der damit wirbt, daß man es zuerst hier erfährt.

Doch Geschwindigkeit ist nur ein Teil des Wettbewerbs: Denn es stürzt nicht jeden Tag ein amerikanisches Flugzeug ab, es stürmt nicht täglich ein Wahnsinniger mit einem Revolver ins Kapitol, und es explodiert nicht immer eine Bombe vor einer US-Botschaft.

Seit CNN vom Time-Warner-Konzern gekauft wurde, ist der Druck auf CNN, ordentlich Geld zu verdienen, stark gestiegen, auch wenn nicht gerade irgend etwas Weltbewegendes passiert. Zu diesem Zweck heuerte Ted Turner den prominenten Nachrichtenproduzenten Rick Kaplan von ABC an. Kaplan sollte CNN "auf eine neue Ebene bringen". In Wirklichkeit geht es wohl darum, CNN für einen Markt fit zu machen, in dem man nicht mehr Monopolist ist, sondern sich mit hartnäckiger Konkurrenz herumschlagen muß. Kaplan: "Um auch in ruhigeren Zeiten entsprechende Einschaltziffern zu haben, brauchen wir Magazine, also Sendungen, die die Leute regelmäßig schauen, und die von einem Star moderiert werden. Das einzige solche Programm, das CNN bisher hat, ist Larry King live, und das ist zuwenig, um befriedigende Einschaltziffern zu erreichen."

Eine der ersten Neuerungen Kaplans war die Einführung von Townhall-Sendungen, in denen sich ein Moderator gemeinsam mit Experten in einen Saal voll mit Laien begibt, um das Thema des Tages zu erörtern. Eine weitere Neuerung sollte das Magazin "NewsStand: CNN&Time" werden. Deren erste Sendung ging jedoch gehörig in die Hose: Es war das Valley-of-Death-Debakel ...

Das Herzstück der CNN-Strategie bleibt jedoch weiterhin, live vom Ort des Geschehens zu berichten. Auch dann, wenn dort gar nichts geschieht. Wer jemals gesehen hat, wie Wolf Blitzer live und exklusiv zum hundertsten Mal vom Weißen Haus berichtet, daß sich "Präsident Clinton wieder nicht zur Lewinsky-Affäre geäußert hat", oder wie Bob Franken vor dem Federal Courthouse in Washington schwitzte (dort vernahm Kenneth Starr Zeugen wie Monica Lewinsky), um stündlich live und exklusiv zu berichten, daß es dort eigentlich nichts Neues gibt, verliert jede Vorstellung, daß es sich bei dieser Art von Fernsehen um packenden oder seriösen Journalismus handelt. Doch obwohl der Großteil der Amerikaner angeblich genug von der Clinton-Lewinsky-Affäre hat, beharren die Nachrichtensender darauf, daß sie nur deshalb pausenlos darüber berichten, weil es ihr Publikum eben wünscht. Oder weil es keine anderen spektakulären Nachrichten gibt. Wie der Politthriller "Wag the Dog" treffend vor Augen führt, kann eine Auslandskrise, wie die zwei Anschläge auf US-Botschaften in Afrika und die darauffolgenden "Vergeltungsschläge" der USA, dem Präsidenten sehr gelegen kommen, um unliebsame Themen aus den Medien zu bekommen.

Live, wenn nichts los ist Doch auch außerhalb der USA setzt CNN mittlerweile die Konkurrenz stark zu. Zwar ist man weltweit immer noch der mit Abstand bekannteste Nachrichtensender, doch seit dem Golfkrieg haben auch andere erkannt, daß sich mit einem 24-Stunden-Nachrichtenkanal Geld verdienen läßt. In Großbritannien gibt es den Privatsender Skynews und seit heuer auch BBC World weltweit über Satellit. In Lateinamerika teilen sich CBS mit dem Sender TeleNoticias, der mexikanische Kanal Eco, und seit 1997 CNN Espanol den spanischsprachigen Markt. Und auch in der arabischen Welt gibt es bereits zwei regionale Nachrichtenkanäle: Der in Qatar beheimatete Sender Al Jazira sendet seit 1996 24 Stunden Nachrichten auf Arabisch, und seit 1997 versucht ein Neffe des syrischen Präsidenten Assad mit dem Arab News Network sein Glück.

Gegen die wachsende Konkurrenz wird sich CNN nur behaupten können, wenn er sich als seriöser und verläßlicher Sender profilieren kann. Und dabei hat die Valley-of-Death-Geschichte wohl kaum geholfen.

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