Schräger Vogel im Äther

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Ungewöhnlich ist Wiens erster nichtkommerzieller Radiosender. Mitarbeiter, Programmgestaltung und Finanzierung lassen Einfallsreichtum erkennen.

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Ungewöhnlich ist Wiens erster nichtkommerzieller Radiosender. Mitarbeiter, Programmgestaltung und Finanzierung lassen Einfallsreichtum erkennen.

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Das Team des jüngsten Wiener Privatradios will anders als die anderen Radiomacher sein. "Vom Volksschüler bis zum Opa haben wir alles dabei, insgesamt sind es rund 300 ehrenamtliche Mitarbeiter." Fiona Steinert, Obfrau des Trägervereins "Freies Radio Wien" und Programmkoordinatorin von Radio Orange, das seit 17. August in ganz Wien auf der Frequenz 94.0 zu hören ist, ist stolz auf die bisher geleistete Arbeit. Obwohl sie zugibt, daß es nicht immer leicht ist: Beiträge von so vielen Mitarbeitern zu koordinieren sowie Programmvorschläge und individuelle Wünsche zu berücksichtigen, erfordert viel Zeit und Kompromißbereitschaft.

Es gehört schon eine gehörige Portion Idealismus dazu, um ein Lokalradioprojekt wie Radio Orange zu verwirklichen. Fiona Steinert und ihre Mitarbeiter haben genügend davon. Zuerst gab es Probleme mit der Frequenz, die von 93.3 auf 94.0 geändert werden mußte, dann war der Standort der Sendeanlage fraglich. Geplant war ein Sender in Neuwaldegg, mit dem man jedoch nicht das gesamte Stadtgebiet erreicht hätte. Der Wunschstandort AKH schied ebenfalls aus, es wurde eine Störung des Betriebsfunks von Rettung und Feuerwehr befürchtet. Nun hat man sich auf den Donauturm geeinigt. Der Sendestart jedoch, der schon vor einigen Monaten geplant gewesen wäre, hat sich durch diese Schwierigkeiten erheblich verzögert.

"Sei dein eigenes Radio", lautet das Motto von Radio Orange, das durchaus wörtlich verstanden werden soll. Jeder, der Beiträge gestalten will, ist im Team willkommen, ein starres Sendekonzept gibt es nicht. "Ich glaube, daß jeder Radio machen kann", gibt sich Steinert überzeugt. Professionalität steht bei Radio Orange nicht im Vordergrund, nur wenige der Mitarbeiter haben bereits früher Radioerfahrungen gesammelt. Natürlich wirkt sich diese Tatsache auch auf die Hörbarkeit des Programms aus, doch Fiona Steinert kann dem durchaus positive Seiten abgewinnen. "Diese Unprofessionalität muß nicht nur ein Manko sein, sondern gibt auch unsere Linie wieder. Wir sind ein offenes, pluralistisches Medium."

Programmschwerpunkt sind unterrepräsentierte Gruppen, die in den kommerziellen Radios kaum zu Wort kommen. "Augustin", das Wiener Obdachlosenprojekt, ist ebenso vertreten wie eine Reihe von fremdsprachigen Sendungen, deren Mitarbeiter Beiträge in Türkisch, Serbisch, Kroatisch und Französisch gestalten. FM Afrique ist die erste regelmäßige afrikanische Sendung in Wien - in anderen europäischen Städten sind solche Sendungen laut Aussagen von Radio Orange längst an der Tagesordnung.

Einige der Gruppen, die regelmäßig Beiträge gestalten, waren schon im Team von Radio 1476, dem Bürgerradio des ORF, das auf Mittelwelle gesendet wird, mit dabei. "Das war so eine Art Probelauf für Radio Orange, mittlerweile haben wir die Kooperation aufgegeben", meint Steinert dazu. Wenn einzelne Gruppen neben ihrer Tätigkeit bei Radio Orange auch weiterhin bei Radio 1476 arbeiten, stört sie das nicht. "Es kann durchaus auch sein, daß wir sogar irgendwann einmal Beiträge von 1476 übernehmen oder 1476 umgekehrt von uns etwas nimmt. Geplant ist das aber nicht."

Kreative Finanzierung Als nichtkommerzielles Radio, das ganz ohne Werbung auskommt, ist Radio Orange gezwungen, bei der Finanzierung kreativ zu sein. Ein Radio-Abo, das in drei Preisklassen von 400 über 800 bis zu 1.200 Schilling zu haben ist, räumt auch gewisse Rechte an der Programmgestaltung mit ein. Der Abonnent wird Mitglied im MitarbeiterInnenverein und bekommt außerdem Anreize wie eine eigene e-mail-Adresse und vergünstigte Konzertkarten geboten.

Die Vermarktung von Off-Air-Geschäftsfeldern ist ein weiterer Faktor, der das finanzielle Überleben des Senders sicherstellen soll. Darunter versteht man all jene Bereiche, die mit dem Sendebetrieb an sich nichts zu tun haben, im weitesten Sinn aberdennoch zum Umfeld von Radio Orange gehören. Beispiele dafür sind der Schulungsbetrieb mit einem breiten Angebot an medienpädagogischen und medienrechtlichen Seminaren und Radio-Workshops sowie Möglichkeiten des Sponsorings.

Auch Förderungen der öffentlichen Hand sind zugesagt worden - man hofft auf einen Beginn des Geldflusses noch im Laufe des Herbstes. Alexander Baratsits, Geschäftsführer von Radio FRO (Freies Radio Oberösterreich) ist einer der Chefverhandler für die nichtkommerziellen Radios in Österreich. "Die Beiratsempfehlung lautete zuerst auf fünf bis sieben Millionen Schilling Förderungen, das ist dann doch nicht durchgegangen. Jetzt sind wir bei 2,5 Millionen, die sind schon gesichert", so Baratsits. Diese Summe kommt freilich nicht allein Radio Orange zugute, sondern wird auf alle acht lizensierten nichtkommerziellen Lokalradios in Österreich aufgeteilt.

Wer der typische Hörer von Radio Orange ist, darüber gibt es keine genauen Daten. Auf eine dem Sendestart vorausgehende Marktforschung hat man aus Kostengründen verzichtet. Fiona Steinert hat dennoch recht konkrete Vorstellungen: "Für die Leute, die uns zuhören, gilt wohl Ähnliches wie für diejenigen, die das Programm machen", meint sie. Bunt gemischt also, vielleicht ein bißchen alternativ? Das freilich hört Steinert nicht so gerne. "Erstens ist alternativ so ein unglaublich schwammiger, abgenutzter Begriff. Und alternativ im Sinn von chaotisch sind wir sicher nicht. Aber abgesehen davon trifft alternativ schon auf uns zu - im Sinn von offen, ungewöhnlich. Wir sehen in unserer Arbeit auch einen demokratiepolitischen Ansatz. Radio Orange soll ein Forum für alle Unterrepräsentierten sein."

Hörer fahren Rad, nicht Auto Konventionelles Hörerservice wie Verkehrsfunk oder Radarmeldungen wird es bei Radio Orange nicht geben. Erstens sind da die Kosten, die nicht zu tragen wären, und zweitens besteht wohl auch keine Notwendigkeit. "Ich stelle mir unsere Hörer eher radfahrend als autofahrend vor", ist Steinert von der Sinnlosigkeit einer solchen Einrichtung überzeugt. Die Möglichkeit der Einbindung der Hörer in das Programm gibt es aber schon. Call-in-Sendungen stehen regelmäßig auf dem Programm.

Für Steinert selbst ist Radio Orange die erste Erfahrung im Radiobereich, dementsprechend engagiert geht sie damit um. Die studierte Theaterwissenschafterin war eine Zeit lang in der Österreichischen Hochschülerschaft aktiv, am Projekt Radio Orange arbeitet sie nun schon einige Jahre. Sie ist außerdem eine der sieben fixen Mitarbeiter des Senders, die hauptsächlich für Verwaltungstätigkeiten und Koordination zuständig sind. Die übrigen - ehrenamtlichen (!) - Mitarbeiter, die das Programm gestalten, haben sich hauptsächlich durch Mundpropaganda beim Sender eingefunden. "Ein riesiger Freundeskreis, die meisten haben von der Möglichkeit einer Mitarbeit über irgendwelche Bekannte erfahren. Einige sogar über unsere Homepage - obwohl die erst im Entstehen ist", freut sich Steinert über das rege Interesse.

Ob sich die Begeisterung des Anfangs langfristig in den alltäglichen Sendebetrieb hinüberretten läßt bleibt abzuwarten. Wie Steinert sagte: für die Hörer gilt ähnliches wie für die Programm-Macher.

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