"Sie spucken auf uns!"

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Wird es Massenkundgebungen geben? Wird man die Ablöse des Präsidenten verlangen? Wird es zu Neuwahlen kommen? Wer die Berichterstattung zur russischen U-Boot-Havarie in der Barentsee verfolgt, dem kommt solches in den Sinn. Der Volkszorn kocht, wegen der dilettantischen Rettungsaktion, der Verschleierungstaktik wie zu Sowjetzeiten, vor allem wegen dem demonstrativen Desinteresse des Präsidenten, seiner Emotionslosigkeit, seinem fehlenden Mitgefühl. "Sie spucken auf uns", lautet der Kommentar vieler Russen. Und die bislang handzahme russische Presse schreibt in diesem Sinn, und es sieht so aus, als würden die Medien ihren Gegenangriff gegen Putin von der "Kursk" aus starten.

Der Präsident sei für alles verantwortlich, hieß es noch im Wahlkampf zu Beginn des Jahres. Kompetente Führung und ein starkes Russland hat Putin seinen Landsleuten versprochen, deswegen haben sie ihn gewählt, deswegen wird der politische Senkrechtstarter jetzt - zum ersten Mal - massiv kritisiert. Dabei ist anzunehmen, dass weder Putin noch seine Admiräle verstehen, warum es soviel Lärm gibt. Immer wieder in der Geschichte der russischen Flotte sind U-Boote nicht mehr aufgetaucht. Vielleicht vergleicht Putin auch die 118 ertrunkenen Matrosen mit den tausenden Toten der Tschetschenienkriege und wundert sich, dass ihm jetzt "unmoralisches Verhalten" vorgeworfen wird.

Putins Verwunderung ist in gewisser Weise gerechtfertigt. Als Kriegsherr hat er doch bislang nur Sympathie und Erfolge geerntet. Und wurde sein kühles, steinernes Auftreten nicht als Zeichen von Stärke interpretiert? Warum ist das Image des Präsidenten mit der Tragödie in der Nordsee abgesoffen?

Weil der Bevölkerung mit diesem Ereignis die Einstellung der Staatsmacht gegenüber dem Individuum deutlich vor Augen geführt wurde, meint Leonid Radsichowski, einer der renommiertesten Politologen in Russland. "Der einzelne Mensch war, ist und bleibt eine Null", beschreibt er die Erkenntnis, die weite Bevölkerungskreise mit diesem Unglück erlangten. Dass sich daraus eine kritische Zivilgesellschaft entwickelt, glaubt er jedoch nicht. Diesbezügliche Hoffnungen liegen tiefer begraben als die gesunkene "Kursk".

E-Mail: w.machreich@styria.com

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