Sprödigkeit als Statussymbol

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Mit dem neuen Journal "Literaturen" will es Sigrid Löffler der Branche zeigen.

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Mit dem neuen Journal "Literaturen" will es Sigrid Löffler der Branche zeigen.

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Wenn im Zeichentrickfilm Tom weit ausholt, um es Jerry zu zeigen, fällt er meist auf die Nase. Auch Sigrid Löffler holte weit aus, um es mit ihrer Zeitschrift Literaturen der Branche und dem Rest des "Literarischen Quartetts" zu zeigen. Ob sie auf die Nase fiel, wird sich weisen. Das erste Heft der Literaturen macht jedenfalls nur bedingt Appetit auf das zweite.

Vielleicht hätte es eine verschmockte Zeitschrift werden sollen. Der Titel könnte dafür gelten. Doch der Inhalt ist nicht verschmockt, sondern betulich. Ratlos in den Literaturen blätternd, auf dieses oder jenes Buch neugierig, an diesem oder jenem Thema grundsätzlich interessiert, doch oft nur zu bald mit dem Lesen lustlos wieder aufhörend, findet man in Literaturen geradezu ein Anschauungsobjekt für den Unterschied zwischen der auf hohle Weise hochgestochenen, aber mitunter unterhaltsamen Schmockerei und der ältlich umständlichen, unentwegt in den vollen Handtäschchen des Wissens kramenden Betulichkeit.

Literaturen sei die "Zeitschrift für Leser", erfahren wir, no na, sie antworte "auf ein Bedürfnis nach Orientierung, nach Navigation, nach Thematisierung", suche "Korrespondenzen und Anschlussfähigkeiten", so bombastisch anzukündigen, man werde sich um Vielfalt bemühen, das muss einer erst einmal können. Auch "die sorgfältig überlegte Besetzung" erfährt Eigenlob. Andere Zeitungen denken wohl nicht lang darüber nach, wer für sie schreiben soll.

Dabei ist vieles interessant. Etwa der Essay von Hubert Winkels über Literatur im Fernsehen. Oder Doron Rabinovici über die Verkitschung der "Endlösung" im Trivialroman (im Inhaltsverzeichnis findet man keinen Hinweis auf diesen Beitrag). Oder der Besuch beim Autor der Malaussene-Romane Daniel Pennac in Belleville. Wolfgang Engler nimmt sich in einem Artikel zwölf Bücher zum zehnten Jahrestag des Berliner Mauerfalls vor. Da wird über manches hinweggehuscht. Auf der Jagd nach Mythen schießt er zwar auch ein paar Pappkameraden ab, doch wie er das Gerede über die DDR-Mentalität als Ursache der nachhinkenden Produktivität als solches, nämlich dummes Gerede, entlarvt, das ist erfrischend.

Die Chance der Autoren, dass ihre Beiträge zu Ende gelesen werden, nimmt allerdings mit der Länge rapid ab. Zu viele sind zu lang, zu abgehoben und schwierig geschrieben. Wohl, um "Niveau" und "Exklusivität" zu signalisieren. Fadesse als Mode.

Ein Teil der Mitarbeiter entwickelt obendrein beachtliche Meisterschaft in der Kunst eines so weit wie möglich ausholenden Anfangs. Die Betulichkeit der Zeitschrift äußert sich auch darin, dass ihr direkter Zugriff, Prägnanz, journalistische Professionalität offenbar für unfein gilt. Das äußerst sich auch in der geradezu bemüht ungriffigen Betitelung vieler Beiträge, im unübersichtlichen Layout.

Doch das sind wohl keine Startschwierigkeiten, das alles hat offensichtlich Methode, wie bereits der erste Beitrag "Der Weltausbesserer - Ein Besuch bei dem Schriftsteller Michael Ondaatje" von Sigrid Löffler beweist. Sigrid Löffler ist für die Zeitschrift verantwortlich und sie ist eine Journalistin, die immer schon gewusst hat, wo es lang geht, und meist auch schon, wo es bald lang gehen wird. Ihre Interviews, ihre Besuche bei Autor(inn)en vermittelten einst persönliche Eindrücke und Atmosphäre. Gerade, dass wir erfahren, dass sie tatsächlich bei Ondaatje war und er ihr höchstselbst in Toronto den Bloor-Street-Viadukt gezeigt hat. Der Großteil des Beitrags könnte teils aus seinen Büchern gefiltert, teils Ergebnis von Materialrecherche sein, soviel Distanz spüren wir da.

Ein neuer Zeitungsstil? Wenn ja, was signalisiert er uns? Sprödigkeit als Statussymbol? Erhabenheit über den ordinären Feuilletonismus? Den Anspruch, etwas Besseres zu sein, wenn man sich geduldig durch die Texte beißt? Auf den Erfolg des Rezepts darf man gespannt sein.

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