Stimme aus dem Äther

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75 Jahre Radio: In Österreich begann am 1. 10. 1924 die "Neuzeit" der Mediengeschichte.

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75 Jahre Radio: In Österreich begann am 1. 10. 1924 die "Neuzeit" der Mediengeschichte.

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Hallo, hallo, hier Radio Wien auf Welle 530 ..." Vor 75 Jahren, am 1. Oktober 1924, ertönte zum ersten Mal diese Ansage, Österreichs Stimme im Äther, noch krächzend, schwer verständlich - und privat. Auftakt zur Revolutionierung der Medienwelt, die heute mit Satellit und Internet neuen Höhepunkten zustrebt.

Damals war es Oskar Czeija, der mit wenigen Mitarbeitern aus ein paar kleinen Zimmern des Regierungsgebäudes am Stubenring seine ersten Sendungen ausstrahlte. Er hatte nach Kriegsende begonnen, sich mit der drahtlosen Telegraphie zu beschäftigen. Diese war im Krieg erstmals militärisch eingesetzt worden. In Deutschland strahlten seit 1920 Post und Industrie über den Sender Königswusterhausen ihre Sendungen aus. In Österreich dauerte es bis 1924, bis Czeija alle Bedenken überwunden hatte und die Österreichische Radio-Verkehrs-AG, die RAVAG, ins Leben rufen konnte. Er sollte bis 1938 ihr Generaldirektor bleiben.

75 Jahre Rundfunk in Österreich - 70 Jahre eigenes Miterleben der Mediengeschichte. Es begann mit der großen Neuerung in der kleinen Fremdenpension in Tirol, die noch nicht einmal über Fließwasser in den Zimmern verfügte - aber über einen Detektor im "Salon", aus dessen Kopfhörern krächzende Laute und Musikfetzen hörbar wurden, wenn man - uns Kindern streng verboten - an den Schrauben drehte. Im nächsten Jahr ersetzte schon ein großer Trichter die Kopfhörer - aber wenn ein Gewitter aufzog, wurde abgeschaltet, um nicht Blitze anzuziehen.

Spürten die Zeitungsmacher damals schon, daß und wie ihnen hier eine Konkurrenz erwuchs? Die Skepsis war verständlich, wenn die "Neue Freie Presse" am 2. Oktober das Eröffnungskonzert kritisierte, das "keinen unverfälschten Eindruck" von Alfred Blumens Klavierspiel vermittelt habe. Noch Anfang der fünfziger Jahre galt in der "Presse", die Weisung "Nicht genannt soll er werden!", der Rundfunk. Man werde doch für die Konkurrenz keine Reklame machen ... Schon 1925 konnte die RAVAG aus der Staatsoper und von den Salzburger Festspielen live übertragen. Im ersten Jahr waren 11.000 Österreicher angemeldet, 1927 schon 300.000 - heute dürfte wohl in jedem Haushalt ein Hörfunkapparat in Betrieb stehen.

Erster Präsident der RAVAG war Anton Rintelen, christlich-sozialer Landeshauptmann der Steiermark, zeitweise Unterrichtsminister, verwickelt in Pfriemerputsch 1931 und Nationalsozialistenputsch 1934. Hätte der Rundfunk überhaupt aus dem politischen Kräftespiel herausgehalten werden können? Schon Bundeskanzler Ignaz Seipel sprach von den "unwiderstehlichen Wellen der Menschenliebe und Versöhnlichkeit", die der Rundfunk ausstrahlen sollte. Als Engelbert Dollfuß sein Regime nach autoritären Vorbildern auszurichten suchte, war auch das Volksbildungsprogramm im Radio involviert, und als die Putschisten am 25. Juli 1934 zum Sturm auf den Ballhausplatz ansetzten, war das RAVAG-Gebäude in der Johannesgasse das erste umkämpfte Rundfunkgebäude der Geschichte. Auch hier gab es Tote.

Während des Kriegs strahlten die "Reichssender" der "Ostmark" die deutsche Propaganda aus, nach Kriegsende setzten sich die Besatzungsmächte im Äther fest. Und wenn der fallweise Mitarbeiter in den frühen fünfziger Jahren "die RAVAG" in der Argentinierstraße betrat, wurde er veranlaßt, sich "einzutragen" - in eine Unterschriftenliste zugunsten des kommunistischen Weltfriedensrates, denn hier saß die "Russische Stunde".

1953 wurde die Ultrakurzwelle eingeführt, der Abzug der Besatzer brachte das Fernsehen als visuelles Pendant zum akustischen Medium. Bundeskanzler Julius Raab verkannte die Bedeutung der "Bildln", die er "den Roten" überlassen wollte, wenn sein Einfluß im Radio gewahrt bliebe. Gegen die Parteienallmacht im Rundfunk leiteten die unabhängigen Zeitungen 1964 das erste Volksbegehren ein. Es führte zur Rundfunkreform unter Gerd Bacher, zur Informationsexplosion, zur technischen Vollversorgung.

Das ORF-Monopol ist durch Privatradio, Kabel- und Satelliten-TV längst gebrochen, die Bedeutung der elektronischen Medien zur politischen Beeinflussung unbestritten. Deswegen wird auch der Griff der Politik auf diese Medien nie aufhören.

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