CoronaMedien - © Foto: iStock/zubada (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

"Streitlust und Streitkunst": Vom Geschäft der Medien

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Der öffentliche Diskurs ist polarisiert. Die Medien sind da oft mehr Parteiungen als kritische Diskursräume. Ein Sammelband setzt sich damit kritisch auseinander.

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Der öffentliche Diskurs ist polarisiert. Die Medien sind da oft mehr Parteiungen als kritische Diskursräume. Ein Sammelband setzt sich damit kritisch auseinander.

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Im Juli 2016 fand in der Türkei ein Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan statt, der binnen weniger Stunden niedergeschlagen wurde. In kaum längerer Zeit wurden vom herrschenden und siegreichen Regime tausende Personen, die Erdoğan und Co schon lang vorab auf Listen stehen hatten, entlassen, verhaftet und/oder angeklagt. Erdoğan selbst identifizierte von Anfang an die Gülen-Bewegung als Drahtzieher des Putsches und sprach von ihr nur mehr als „Fethullahistische Terrororganisation“ oder „FETÖ“, dem Akronym davon.

Der protestantische Theologe Christoph Bultmann weist in einer bestechenden Analyse der journalistischen Rezeption des Putsches in Deutschland nach, dass zwar bis zum heutigen Tag nicht geklärt ist, ob die Anhänger des in den USA lebenden konservativ-islamischen Reformtheologen Fethullah Gülen tatsächlich hinter dem Putsch stehen, wie es Erdoğan seit 2016 unaufhörlich trommelt. Bultmann gelingt es dabei eindrücklich, aufzuzeigen, dass dieses Narrativ bis heute die Sicht auf die Ereignisse dominiert – auch in Deutschland, auch unter der Federführung oppositioneller Kräfte aus der Türkei.

Frappierend, wie journalistisch nicht hinterfragt wird, ob die Behauptungen für die Gülen-Verwicklung stichhaltig sind, geschweige denn, dass die von Erdoğan in die Welt gesetzten Anschuldigungen unter dem Gesichtspunkt von Propagandalügen bewertet würden. Bultmann geht es nicht darum, eine „Unschuld“ der Gülenisten zu propagieren, sondern dass die Evidenzen für deren „Schuld“ dünn sind und keiner kritischen Überprüfung unterzogen wurden. Bis heute nicht. Auch nicht im deutschen Sprachraum, in dem politische Sympathien für Erdoğan gewiss nicht weit verbreitet sind.

Journalistische Standards missachtet

Beschriebener Exkurs in eine gar getrübte Türkeiberichterstattung ist einer der vielen aufschlussreichen Beiträge im Sammelband „Streitlust und Streitkunst – Diskurs als Essenz der Demokratie“, und er zeigt auf, dass selbst in den Bereichen, die im deutschen Sprachraum nachrichtenmäßig nicht zu den brennendsten Themen gehören, einfachste journalistische Standards missachtet werden, die auf den kurzen Nenner gebracht werden können: „nachfragen, ob das stimmen kann, schlüssig ist; ob unterschiedliche Blickwinkel und Meinungen zur Sprache kommen; und nicht zuletzt: ob genügend Fakten recherchiert wurden“.

Auch wenn der Titel des Bandes vor allem Diskurs und Demokratie insinuiert, geht es in den 25 Beiträgen zuvorderst um Medienkritik und um kritische Selbstreflexion der Medien im 21. Jahrhundert. Herausgeber Stephan Russ-Mohl, emeritierter Medienwissenschafter und Gründer des „European Journalism Observatory“, hat markante Medienbeobachter versammelt, die einerseits die Verwerfungen durch die medialen Transformationsprozesse von der Digitalisierung bis zu den Echokammern Sozialer Medien analysieren und andererseits Finger in die Wunden medialer Fehlentwicklungen legen, die nicht zuletzt handwerkliches Versagen von Medienmachern offenbaren. Eine Pflichtlektüre für Medienschaffende wie für wache Medienkonsumenten (also für alle Zeitgenossen).

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