Strohhalm oder Sozialporno?

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"Sozialporno!" So lautete auch unser erster Gedanke, als die Ideen der TV-Produktionsfirma Endemol - berühmt-berüchtigt für Formate wie Big Brother oder Traumhochzeit - einer Doku-Soap für Arbeitslose ruchbar wurden.

Dabei ist die Idee der niederländischen Skandal-Profis gar nicht neu: Denn in Argentinien gibt es schon längst die Sendung Recursos Humanos ("Menschliche Ressourcen"), wo Arbeitslose um die Gunst der Zuschauer buhlen; das TV-Publikum stimmt dann telefonisch ab, wer einen Job bekommt.

Nein, mit dieser Art Show will Endemol nichts zu tun haben. "Wir wollen uns Nullkommanull über Arbeitslose lustig machen", so wird Endemol-Chef Borris Brandt zitiert. Man wolle auch keine Kameras installieren, sondern einige Familien im Alltag begleiten - zwischen Arbeitsamt, Küchentisch und Heimatverein: "Wie Lindenstraße, nur in echt."

Ausersehen haben die TV-Leute die Stadt Artern in Nordthüringen: Im 6.800-Seelenort liegt die Arbeitslosigkeit bei 22 Prozent, Endemol will mit der Doku-Soap diese Zahl deutlich reduzieren. Einige der Arterner hoffen das ebenfalls, während andere fürchten, das Image der Region könnte sich noch weiter verschlechtern.

Im September schon sollte auf dem Privatkanal Neun Live eine Arbeitslosen-Show ähnlich dem argentinischen Vorbild on air gehen, doch Proteste - nicht zuletzt des damaligen deutschen Arbeitsministers Walter Riester - verhinderten das Vorhaben.

Endemol, das Mitte Dezember mit den Dreharbeiten beginnen will, legt aber Wert auf Ernsthaftigkeit. Man verhandle auch mit dem öffentlich-rechtlichen Programm MDR um einen Sendeplatz.

Und die Qualifikation "Sozialporno"? Natürlich sind hier dieselben Fragen nach Privatsphäre und Ausbeutung der Initimität zu stellen wie bei Big Brother & Co. Aber man darf doch auch hoffen: Dass etwa via TV eine größere Sensibilität für Lebenswelt und -probleme von Arbeitslosen zu Stande kommt. Außerdem: Warum sollen Menschen, denen Politik und Gesellschaft außer unerfüllten Versprechen nichts zu bieten hatten, nicht nach einem Strohhalm greifen? Otto Friedrich

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