Terror als Selbstzweck

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Hannah Arendt war eine (politische) Denkerin wider den Strom. Und hat auch in der Zeit des "Krieges gegen den Terror" viel zu sagen.

Noch bevor Hannah Arendt zu einer Ikone der Frauenbewegung werden konnte, war ihr Name bereits weit über den engeren Kreis der politischen Philosophie und Theorie hinaus gedrungen: Ihr 1951 in New York erschienenes Buch The Origins of Totalitarianism (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft) wurde in wenigen Jahren zu einem der bedeutendsten politischen Bücher des 20. Jahrhunderts.

Arendt war ein großer Wurf gelungen. Sie war zur Begründerin einer Theorie geworden - der "Totalitarismus-Theorie". Ein Buch, das ursprünglich angelegt war, um die Bilanz aus den Erfahrungen mit Faschismus und Nationalsozialismus zu ziehen, wurde zur umfassenden Analyse des 20. Jahrhunderts.

Arendts Leistung war, dass sie zwischen dem vornazistischen Antisemitismus und dem Nationalsozialismus eine, ja die entscheidende Verbindung sah; aber auch und ebenso, dass sie zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus die großen Gemeinsamkeiten herausarbeitete - die Gemeinsamkeiten des modernen Terrors:

Totalitarismus-Theorie

"Der moderne Terror bedarf keiner Provokation von einer Opposition, und seine Opfer sind auch vom Standpunkt der Gewalthaber aus völlig unschuldig. Dies zeigte sich in Deutschland gerade im Falle der Juden, die verfolgt wurden, ohne dass ein Mensch sich um ihre Meinungen oder Handlungen kümmerte.

Ganz Ähnliches kann man in Sowjetrussland beobachten, obwohl das Regime dort niemals zugegeben hat, dass die Säuberungen und Liquidierungen sich einfach nach gewissen, im Vorhinein festgesetzten Prozentsätzen richten und mit dem Verhalten der Betroffenen kaum etwas zu tun haben." (Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 4.Auflage. Piper Verlag, München 1986, S. 29 f.)

Das ist das Bild, das Arendt dem Jahrhundert vorhält: Terror nicht als Mittel zum Zweck, Terror als Selbstzweck. Auschwitz diente nicht den Kriegsanstrengungen des Hitler-Regimes - und der stalinistische Gulag nützte nicht der Stabilität der Herrschaft der KPdSU.

Arendts Analyse weist einige frappante Parallelen zu George Orwell auf - wie in der "Farm der Tiere" entlarvt Arendt die theoretischen Ansprüche der kommunistischen Parteiführung als irrelevant für die Herrschaft selbst; und wie in "1984" schildert sie den "totalen Staat" als eine Herrschaftsform, die sich von den ursprünglichen "ideologischen" Wurzeln völlig emanzipiert hat.

Liberale Demokratin

Hannah Arendt wurde so zur großen Vertreterin der liberalen Demokratie. Zu einer Zeit, in der für viele vor allem europäische Intellektuelle noch immer eine Art Grundsolidarität mit der Sowjetunion selbstverständlich war; in der die Hinweise auf Stalins Massenmorden mit den Hinweisen auf Joseph McCarthy balanciert wurden - als könnten kommunistische Morde und antikommunistische Hysterie auf einer Ebene diskutiert werden; zu dieser Zeit zerstörte Arendt den Mythos Stalins und der kommunistischen Herrschaft.

Sie setzte keineswegs Hitler mit Stalin gleich. Sie hob aber - heute überzeugender als je zuvor - die weitgehenden Parallelen zwischen diesen beiden totalitären Unrechtssystemen hervor. Während Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir als Nicht-Kommunisten noch die Sowjetunion bereisten und viel Lobenswertes im Reiche Stalins erkennen wollten, war die Nicht-Kommunistin Arendt auf der Seite der Ex-Kommunisten Ignazio Silone und Arthur Koestler.

Die Funktion des Terrors, wie sie Arendt beschreibt, verdient gerade in einer Zeit des "Krieges gegen den Terrorismus" ernst genommen zu werden. "Das Wesen totalitärer Herrschaft ist ... der Terror ... Als solcher ersetzt er den Zaun des Gesetzes, in dessen Umhegung Menschen in Freiheit sich bewegen können ... Terror in diesem Sinne ist gleichsam das ,Gesetz' ... (Arendt 1986, S. 711)

Der Terror des beginnenden 21.Jahrhunderts richtet sich gegen das Gesetz - direkt, weil er wahllos Menschen tötet: im World Trade Center, in den Zügen in Madrid und London, in den Straßen von Jerusalem, Mumbai und Bagdad; und indirekt, weil dieser Terror den Rechtsstaat derart provoziert, dass sich dieser selbst vom Gesetz zu lösen droht: in Guantanamo etwa. Der Terror siegt, wenn im Kampf gegen den Terror nicht mehr das Recht den Maßstab des Handelns setzt.

Hannah Arendt gilt heute als eine der ganz Großen unter den politischen Denkern des 20. Jahrhunderts. Sie passt aber in keine Schule, keine Tradition: Sie war keine Marxistin, keine Konservative; am ehesten noch kann sie, die Vertreterin der liberalen Demokratie, als Liberale gelten - doch gerade das wollte sie nicht sein: "I never was a liberal ... I never believed in liberalism." (Melvyn A. Hill, (ed.): Hannah Arendt: The Recovery of the Public World. ST, Martin's Press New York 1979, S. 334) Sie war bewusste Jüdin, die mit einem Teil des herrschenden jüdischen Bewusstseins in Konflikt kam - vor allem wegen ihrer Reportage, ihres Buches "Eichmann in Jerusalem".

Sie war keine deklarierte Feministin - aber mit "Rahel Varnhagen" lieferte sie nicht nur eine brillante Analyse des Antisemitismus, sondern auch eine des Antifeminismus.

Sozialer Non-Konformismus

Sie war eine Individualistin, die sich Zuordnungen bewusst und gezielt zu entziehen verstand. "Sozialen Non-Konformismus" bezeichnete sie als das "sine qua non intellektueller Errungenschaften". (Elisabeth Young-Bruehl: Hannah Arendt. For Love of the World. Yale University, New Haven 1984, S. XV)

Der Massenwahn des 20.Jahrhunderts - die Psyche der Reichsparteitage und der Roten Garden - war ihr Erfahrung genug, um jeder Etikettierung gegenüber misstrauisch zu sein.

Hannah Arendt entzog sich so allen politischen Moden und allen "Ismen". Sie schwamm gegen den Strom, vor allem gegen den jeweils herrschenden. Eben weil sie nicht an die Gefühle, weil sie vielmehr an den Geist appellierte - deshalb blieb sie vielen, die politisch so gerne "daheim" sein wollen, fremd und kühl.

Verdächtig für rechts & links

Deshalb fand Hannah Arendt schon bald nach 1945, vor allem durch ihr Buch über den Totalitarismus, zwar volle Anerkennung in der Welt der Wissenschaft. Politisch war sie aber verdächtig: vielen Linken, weil sie die Fassade des Sowjetkommunismus schonungslos durchleuchtet hatte; vielen Rechten (und vielleicht auch Linken), weil sie verhinderte, dass der Antisemitismus als etwas Sekundäres abgetan werden konnte; den Ideologen von rechts, links und der Mitte, weil ihre gedankliche Skepsis die großen Worte und Versprechungen als hohl zu entlarven drohte - und wohl auch weiterhin droht.

Was uns Arendt heute sagt, das steht besonders eindrucksvoll in ihrem Kapitel "Der Niedergang des Nationalstaates und das Ende der Menschenrechte".

Sie geht von der Herrschaftsrealität der totalitären Systeme aus: "Das bloße Wort ,Menschenrechte' wurde überall und für jedermann, in totalitären und demokratischen Ländern, für Opfer, Verfolger und Betrachter gleichermaßen, zum Inbegriff eines heuchlerischen oder schwachsinnigen Idealismus." (Arendt 1986, S. 426)

So ähnlich läuft ja die Debatte über "political correctness" - das modische Schimpfwort der Gegenwart. Arendt macht deutlich, dass die Hüter der Menschenrechte - die Nationalstaaten - strukturell nicht in der Lage sind, diese ihre Aufgabe zu erfüllen: weil die Nationalstaaten Minderheiten, vor allem solche ohne Staatsbürgerschaft, nicht zu schützen in der Lage sind; und weil Nationalstaaten immer mehr heillos überfordert sind.

Global Governance

Arendt hat die Globalisierung vorweggenommen, ohne dass dieser Begriff für sie zentral gewesen wäre. Zur Rettung der Menschenrechte - jenseits des "heuchlerischen und schwachsinnigen Idealismus" - ist "global governance" gefragt; eine (demokratische) Struktur jenseits und über den Nationalstaaten.

Arendt ist vor allem Vorbild in ihrer intellektuellen Redlichkeit. Deshalb war sie misstrauisch gegenüber Denkschulen und Denksystemen. Ihr ging es nicht darum, Wahrheiten zu verkünden; sie war der Wirklichkeit auf der Spur. "Was ist der Gegenstand unseres Denkens?" Fragte sie. Ihre Antwort: "Erfahrung! Nichts anderes!" (Hill 1979, S. 308)

Arendts Aufarbeitung der totalen Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts baut auf der Erfahrung, auf der Wirklichkeit.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Central European University Budapest sowie Direktor des Instituts für Konfliktforschung in Wien.

Hannah Arendt

Von Thomas Wild. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 160 S. mit zahlreichen Abbildungen, kart., e 8,20

Hannah Arendt

Text + Kritik Heft 166/167, Sept. 2005

Gastredaktion: Wolfgang Heuer und Thomas Wild. 198 S., kart, e 22,70

Hannah Arendt

Die melancholische Denkerin der Moderne. Von Seyla Benhabib. Erweiterte Ausgabe. Aus d. Amerikanischen v. Katrin Wördemann. Mit einem Nachwort v. Otto Kallscheuer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 379 S., kart, e 14,40

Hannah Arendt

Wahrheit, Macht, Moral. Von Hans-Martin Schönherr-Mann. Verlag C. H. Beck, München 2006, 208 S., kart., e 13,30

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