Terror in Wien: Absage an den Mord im Bild

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Schussvideos seien hochgeladen worden und kursierten im Internet. Sie würden von den Schülerinnen und Schülern der Schule geteilt: Das Mail der Direktorin eines Wiener Gymnasiums vom 3. November führt mitten in die mediale Problematik, die der Terroranschlag von Wien gleichfalls indiziert hat: Das Töten konnte vielfach aufgenommen und somit auch weiterverbreitet werden.

Was in den (privaten) sozialen Medien nicht hintangehalten werden kann, wird erst recht zum Problem, wenn Medienunternehmen ethische und professionelles Standards vermissen lassen: Die Webseiten der größten Printboulevardmedien krone.at und oe24.at taten sich hier einmal mehr hervor, indem sie derartige Videos allgemein zugänglich machten. Während der ORF, aber auch der Privatsender Puls 24 sich an die Standards hielten, gab es für den Boulevard zumindest in der Nacht vom 2. auf den 3. November nur wenig Grenzen. Dass ob dieser medialen Umtriebe schon 1500 Beschwerden beim „Österreichischen Presserat“ eingingen, zeigt aber, dass allgemeine Empörung über den Dichand- bzw. Fellner-Boulevard herrschte.

Und es scheint, als ob diesmal ein Widerstand gegen den entfesselten Boulevard möglich wurde, jedenfalls kündigten große Handelsunternehmen im Land an, auf den Boulevard-Webseiten keine Inserate mehr zu schalten. Krone-Chefredakteur Klaus Hermann ließ die Videos entfernen, und am Abend des 3. November entschuldigte sich gar Wolfgang Fellner persönlich für den erneuten Missgriff seines Mediums.

Die Schuss- und Mordvideos, die auf der anderen Seite der Polizei eine große Hilfe waren, sind aber beileibe nicht der einzige mediale Missgriff rund um den Anschlag. Auch die Geschichten über den Attentäter, die mancherorts in extenso erschienen sind, auch mit wenig verpixeltem Bild, sind mehr als problematisch. Denn das Geschäft des Terrorismus besteht aus Aufmerksamkeitserregung mittels Gewalt und Mord. Daher erheben Medienkritiker immer wieder die Forderung, über Anschläge möglichst wenig im Detail zu berichten und die Täter medial keineswegs in den Vordergrund zu rücken.

Seit Jahr und Tag gibt es den Vorwurf, dass die Medien das Geschäft der Terroristen mitbetreiben, indem letztere in der Aufmerksamkeitsökonomie, die unsere Wahrnehmung steuert, gut bedient werden.

Tatsächlich prallen hier die Aufgabe der Medien, Sachverhalte zu berichten und möglichst umfassend darzustellen, auf die aufmerksamkeitsökonomischen Bedürfnisse auch eines Attentäters, der möglichst viel medial „gesehen“ werden will, damit er das, was er als seine Botschaft versteht, auch wirklich anbringen kann. Es ist theoretisch klar, dass die Medien sich da nicht zum Komplizen machen dürfen (und schon gar nicht die Ermordung eines Opfers zeigen). So perfide und verantwortungslos ein Terrorist agiert, so verantwortungsvoll müssen gerade Medien sein. Sonst machen sie sich zu Komplizen des Attentäters. Dazu dürfen sie sich gewiss nicht hergeben.

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