Traum von Global City

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"Telepolis", die "Zeitschrift für Netzkultur", feierte kürzlich den 10. Geburtstag. Das Magazin hat sich weiterentwickelt - und dabei einiges zurückgelassen.

Alles begann mit der Vision von der "Stadt am Netz", in der jeder Mensch seine "Tele-Existenz" in einem Raum lebt, in dem Entfernungen und die Geografie keine Rolle mehr spielen. Die mächtige Metapher der Stadt als Weiterentwicklung des Global Village deutete die Zukunft des damals noch jungen Internets an - Unübersichtlichkeit, Entwicklung von Geschäftszentren, Entstehung von Subkulturen. Die erste Frage, die Telepolis jemals aufgeworfen hat, war, welche Auswirkungen die virtuelle Stadt auf das wirkliche Leben haben wird - das war 1996. Das deutsche Magazin gilt als erstes seiner Art. Mit langen und theoretischen Artikeln widmet man sich Themen der Informationsgesellschaft. Unter der Leitung von Florian Rötzer, Mitbegründer und heute noch Chefredakteur von Telepolis, konzentrierte man sich, schon am Beginn der jungen Zeitschrift, auf eine theoretisch-fundierte Distanz zum Internet.

Abschied von alten Stärken

Inzwischen ist das Internet zu einer Selbstverständlichkeit geworden, zu der immer mehr Personen Zugang haben. Damit ist die Schwerpunktsetzung der Zeitschrift eine andere geworden. Florian Rötzer spricht zusätzlich noch von ökonomischen Zwängen, die bedingt haben, dass die Artikel ein wenig kürzer wurden, und vermehrt politische Artikel die Kernkompetenz - den Medienjournalismus - ablösten. Dieser ist aber immer noch fixer Bestandteil. Ein Beispiel ist die Berichterstattung über Enfopol (Enforcement Police), eine Reihe von Arbeitspapieren der EU zur Überwachung der Telekommunikation. Für diese Artikelserie erhielt die Redaktion im Jahr 2000 den Europäischen Preis für Online-Journalismus im Bereich des "Investigative Reporting".

Die virtuelle Arena

Die Artikelserie "The WTC Conspiracy" zum 11. September zeigt ein weniger preisgekröntes Gesicht des Onlinemediums - polarisierenden Journalismus, Antiamerikanismus und heftige Diskussionen der Leserschaft. Der Autor Mathias Bröcker provozierte mit seinen Verschwörungstheorien zu Amerika und einem "inszenierten" Terrorismus. Das führte zu Auseinandersetzungen in den Foren, aber auch zu wirtschaftlichem Erfolg, sprich vielen Klicks. Die Debatten glitten dabei immer wieder auf ein Niveau der reinen Beschimpfungen ab ("Amischweine", "Nazisau"). Dennoch haben die Leser am Ende jedes Artikels weiterhin die Möglichkeit auf das freie Wort. Chefredakteur Rötzer bestätigt zwar, dass die Redaktion sich schon öfters überlegt hat, angesichts der mangelnden Debattenkultur die Foren zu schließen, aber ihre Funktion ist im Endeffekt als zu wichtig erachtet worden. Die Gefahr, dass neue Leser von den Foren "verschreckt" werden können, ist Rötzer bewusst, auch wenn er einräumt, dass die Zahl derer, die aktiv die Diskussionsforen nutzen, gering sei, in Relation zu den restlichen Lesern.

Wie andere Onlinemedien profitiert auch Telepolis vom gegenwärtigen Aufschwung im Online-Bereich. Dass nicht nur die kommerzielle Nutzung des Netzes boomt, beweisen die zahlreichen Weblogs und Ansätze des "Bürgerjournalismus" (zum Beispiel die Readers Edition der Netzeitung). Bei beiden Formen kann jedermann selbst Artikel gestalten, die auf einer eigener Webseite erscheinen. Doch während "Blogger" ihre eigenen Chefredakteure sind, entsteht der Bürgerjournalismus unter der Obhut einer Redaktion. Rötzer attestiert ihm deshalb keine lange Zukunft. "Das können die Leute auch alleine machen. Dazu brauchen sie keine Zeitungen." Die Weblogs hingegen "fördern eine offene Debattenkultur und werden deswegen immer wichtiger".

Gefährliche Erholung

Über das derzeitige Wachstum des Onlinemarktes freut sich der Medienexperte aber kaum. Zu viele Leute würden versuchen, wieder das schnelle Geld zu machen. Die Kapitalisierung des Marktes verlaufe zu schnell und es deutet damit vieles auf ein erneutes Überschätzen einer kleinen Erholungsphase des Internet aus. Doch Telepolis kann das eigentlich nur kalt lassen. Das nonkonformistische Magazin mit seinen angenehm langen und theoretischen Artikeln, aber der unangenehmen Forenkultur, hat schon den ersten Krach der New Economy überlebt - wohl nicht aus Zufall.

www.telepolis.de

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