Türkische Armenier in Sorge

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Das Timing war auffällig. Just vor dem 5. Jahrestag der Ermordung von Hrant Dink fiel das Urteil im Prozess gegen die Hintermänner des Verbrechens an dem türkisch-armenischen Publizisten. Lebenslang für den Anstifter, doch Freispruch für den V-Mann zur Polizei. "Hrant Dink nochmals ermordet“, titelte eine Zeitung erbost. Zwei Tage später zogen 30.000 Menschen durch Istanbuls Straßen. Der Gedenkmarsch wurde zum Protestmarsch. "Wir sind alle Armenier“, kündete ein Transparent.

Anwälte und Medien waren nach dem überraschend milden Urteil einig. "Politischer Mord“, so die Anwältin der Dink-Familie. "Ein Schock“, schrieb das Blatt "Radikal“. Der junge Todesschütze ist längst in Haft. Der Richter wollte keine Beweise für eine Verschwörung gefunden haben. Der Sicherheitsapparat hatte Dink gewarnt, aber nicht beschützt. Die hohe Politik beschwichtigte; der Premier erwartet "Gerechtigkeit“ vom Berufungsverfahren.

Der damalige Herausgeber der renommierten türkisch-armenischen Wochenzeitung "Agos“ wurde zur Zielscheibe türkischer Ultranationalisten, als er die Massaker an den Armeniern Völkermord nannte. Für Rober Koptas¸, den heutigen "Agos“-Chefredakteur, ist Dink ein Wegbereiter für die ethnische Aussöhnung in der Türkei. "Er wollte eine offene Diskussionsplattform für politische und historische Fragen schaffen“, sagte Koptas¸ im Vorjahr bei seinem Wien-Besuch.

Besorgte Stimmen

Im Zuge des Konflikts um das französische Genozid-Gesetz mehren sich besorgte Stimmen in der armenischen Minderheit. Hrant Dink hatte solche Debatten abgelehnt, da sie vor allem anti-türkische Gefühle in der Diaspora befriedigten. Dies befürchtet auch sein Bruder Orhan.

Doch müsse sich die Türkei der Debatte um die Geschichte der Leiden der Armenier stellen, wolle sie Dinks Vermächtnis ernst nehmen, so Orhan Dink. Die getöteten Armenier trügen jedenfalls keine Schuld außer jener, dass sie Armenier waren. Ob 300.000 oder 1,5 Millionen umkamen, ändere daran nichts.

Die Hrant-Dink-Stiftung hat ein Projekt verwirklicht, das die Erinnerung wachhält. In dem Buch "Der Klang der Stille“ erzählen Armenier ihre Geschichten. "Sie betrachten nicht Armenien als ihre Heimat, sondern fühlen, dass sie zur Türkei gehören“, sagte der Herausgeber bei der Präsentation. Eine Gruppe lebt ihre armenische Identität, eine andere wurde muslimisch, eine dritte bekennt sich nur under cover zu den armenischen Wurzeln. "Doch der Tod Dinks wurde zu einem Meilenstein für sie alle.“ Einige dachten ans Auswandern, andere sagten sich: Jetzt bleiben wir erst recht.

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