Unbändige Zeitzeugenschaft

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"Meine liebe Republik": Elisabeth Scharang und Florian Klenk porträtieren Friedrich Zawrel, durch den der Justizskandal Gross wieder lebendig wird.

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"Meine liebe Republik": Elisabeth Scharang und Florian Klenk porträtieren Friedrich Zawrel, durch den der Justizskandal Gross wieder lebendig wird.

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Man kann nicht umhin, ihm weiter und weiter zuzuhören. Als ob ihm der Schalk im Nacken säße - und wahrscheinlich auch zeitlebens sitzt: seine Strategie, mit der er schon den Spiegelgrund überlebt hat. "I woa goschert", erzählt Friedrich Zawrel - im Gegensatz zu den aus "gutem Haus" stammenden Insassen der Kinder-Euthanasieanstalt "Am Spiegelgrund", wo in der NS-Zeit 800 Kinder ermordet wurden. Einer der Ärzte, die dort tätig waren: Heinrich Gross. Mehr als 30 Jahre später sitzt Friedrich Zawrel, wegen kleinkrimineller Delikte in Haft, diesem Peiniger gegenüber, der mittlerweile zum meistbeschäftigten psychiatrischen Gerichtsgutachter Österreichs geworden ist. Gross wird von Zawrel mit seiner Vergangenheit konfrontiert - und sorgt per Gutachten dafür, dass Zawrel eine lange Strafe ausfasst.

Die Filmemacherin und FM4-Journalistin Elisabeth Scharang hat schon 2005 mit dem Spielfilm Mein Mörder den Justizskandal Gross der österreichischen Demenz entrissen. Nun geht sie gemeinsam mit dem Falter-Journalisten Florian Klenk im Dokumentarstreifen Meine liebe Republik weiter gegen das kollektive Vergessen vor und hält dem Nachkriegsösterreich einen Spiegel vor, aus dem die Fratze jenes Verdrängens entgegengrinst, das sogar Justizverbrechen nach 1945 möglich machte.

Der Film steht, fällt und vor allem: lebt vom Original des Fried-rich Zawrel, dessen unbändige Zeitzeugenschaft jedenfalls die Hoffnung vermittelt, dass die Widerwärtigkeiten, denen solches Leben ausgesetzt war, doch nicht jeden Mut brechen können.

Unterstützt von Werner Vogt gelingt es Zawrel in den 80er Jahren, dem Strudel gesellschaftlicher Ächtung zu entkommen und als robuster Zeuge ein Leben Revue passieren zu lassen, das sich niemand ausmalen mag, aber doch via den Film Meine liebe Republik zu Gemüte führen sollte.

Vielleicht keine Schutzimpfung gegen das Vergessen, aber ein notwendiger Anstoß dazu, der an Eindringlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

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