"Vera" als Ministerin?!

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Für die Printmedien Österreichs war 2006 ein folgenreiches Jahr. Zielgruppengerechtes Geschwafel wird die Branche aber kaum retten.

Das Jahr 2006 ist das ereignis-und folgenreichste Medienjahr Österreichs seit dem großen Umbruch der Besitzverhältnisse 1988. Auf dem Printmarkt der Zeitungen lautet das Motto: Überfluss zu Ausverkaufspreisen. Mit den neuen Gratiszeitungen und der Halb-Gratiszeitung Österreich ist die gesamte verbreitete Auflage mit rund 3,1 Millionen Exemplaren auf eine Rekordmarke geklettert, die in der Zweiten Republik nur einmal und auch nur unter Zuhilfenahme der Brutto-Druckauflage erreicht wurde, nämlich 1992/93 im Zeitungskrieg zwischen Kronen Zeitung und täglich Alles.

Zur Werbung hin orientiert

Während die Zeitungsmacher ihre Produkte erfindungsreich durch hypothetisch angenommene Werbezuwächse finanzieren und fast nicht mehr wagen, ihren Primärkonsumenten, den geschätzten Zeitungslesern und-leserinnen, Geld für Ware abzuknöpfen, kommt aus Amerika die passende Botschaft: Time ernannte die gewöhnlichen Internet-Nutzer, also uns alle, zur "Person des Jahres". Ausgerechnet in dem Moment also, in dem in Österreich so viel Rotationspapier bedruckt wird wie nie, müssen die Zeitungsverleger im tiefen Keller noch lauter pfeifen und behaupten, auch das Internet gehöre irgendwie ihnen. Man muss zugeben: In ihren Online-Auftritten schauen manche Zeitungen heute tatsächlich besser und nutzerfreundlicher aus als noch vor zwölf Monaten.

Wer von den Lesern keinen anständigen Preis zu nehmen wagt - im Internet gibt es sowieso keinen -, wird sich bewusst oder unbewusst dorthin orientieren, woher das Geld kommt, also zur Werbung. Dieser Effekt ist schon sprachlich nachzuweisen. Leser und Leserinnen, die in der Vorstellung der Journalisten bisher zumeist als Menschen aus Fleisch und Blut vorkamen, sind zu "Zielgruppen" geworden. Zielgruppen sind ideale Ansprechpartner für die Werbe-und PR-Wirtschaft, nicht aber für Journalisten. Diese haben aber, flexibel wie sie sind, dazugelernt und denken schon oft folgsam zielgruppengerecht. Die Gehirnwäsche bestand auch darin, ihnen einzureden, dass sie nicht für Leser schreiben, sondern Contents abliefern sollen. Der umsatzgetriebene Journalist deklamiert wöchentlich mindestens einmal: Was es soll, ist ganz egal, Content ist's auf jeden Fall.

Blogging und "Laienjournalismus" setzen noch eins drauf. Die Blogger melden sich im Internet wie auf einer unbegrenzten Leserbriefseite zu Wort, reden drein und bewirken manchmal mit vereinten Kräften irgendwo sogar eine nützliche Richtungsänderung. Auch wenn der Prozentsatz der Selbstdarsteller und Geltungssüchtigen unter den Chattern penetrant hoch ist, sind sie ernst zu nehmen. Es gibt sie, weil es die technischen Möglichkeiten gibt. Sie mischen sich auch ungestüm in die niedliche, mit gesellschaftlichem Balkonblick ausgestattete Journalistenwelt. Dennoch können sich nur Gutmensch-Journalisten einreden, dass jetzt das Zeitalter der besseren, weil elektronischen Graswurzel-Demokratie anbrechen werde. Blogger sind Kommunikatoren, die durch keine der üblichen Regeln des bürgerlichen Gesetzbuches, des Medienrechts, des Urheberrechts und der publizistischen Erfahrung gebremst werden. Das mag vorübergehend lustig wirken - ohne Bindungen wird es aber auf die Dauer nicht gehen.

Ziel: Glaubwürdigkeit

Das kommunikative, kreative und chaotische Potenzial der Blogger kann durch diejenigen aufgefangen und kanalisiert werden, die etwas von Kommunikation verstehen. Das sind beispielsweise Zeitungshäuser, die schon in zig Verleumdungsprozessen erfahren haben, was geht und was nicht. Die einen Ruf zu verlieren haben. Die wissen, dass es bei dem, was sie öffentlich machen, zugleich um ihre Glaubwürdigkeit geht.

Womit sich eigentlich der Ausweg von selber ergibt. Die Zukunft der Zeitungen besteht nicht darin, dass Redaktionen zielgruppengerechte Plappereien für leere Zeitungsspalten produzieren und dabei spekulieren, dass jeder Stumpfsinn irgendwo als Geheimtipp weitergegeben wird und man sogar, wie das am vergangenen Sonntag im Hochglanzteil von Österreich passierte, Vera Russwurm als ministrabel verkaufen kann.

Für den Transport von Belanglosem gibt es in heutiger Zeit neben den Zeitungen Hunderte anderer Kanäle. Glaubwürdigkeit anzubieten war ein Ziel, das klassische Medien auszeichnete und auch in Zukunft den großen Unterschied machen wird.

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