"Rivers and Tides" ist mehr als eine Dokumentation: Es vermittelt eine künstlerische Lebensphilosophie.
Mit gefrorenen Fingern fügt der schottische Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy zurechtgebissene Eiszapfen zur schlangenförmigen Skulptur. Die Temperatur hält ihre Teile zusammen. Sie ist das Element, das diese Landschaft prägte. Die Sonne wird die fragile Arbeit in vollendeter Schönheit erstrahlen lassen, um sie dann zu zerstören. Zeit ist wesentlich in Goldsworthys Kunst, die weit über die Reflexion hinausreicht. Sein langsames, prozesshaftes Arbeiten beinhaltet den Kreislauf der Natur. Er fügt ihr nichts hinzu, sondern bildet aus Vorhandenem Neues. Mit großer Zähigkeit sucht er die Form, die dem Wesen des Materials entspricht. Ebbe und Flut, Wärme und Kälte vollenden seine Kunst.
"Rivers and Tides" von Thomas Riedelsheimer ist mehr als ein Dokumentarfilm von Bildern meditativer Poesie. Er ist die kongeniale, auf analogem Material gedrehte Umsetzung einer Lebensphilosophie. Zentrum des Films bleibt Goldsworthy selbst. Die zeitintensive Dokumentation der Veränderung seiner Skulpturen über Monate führt zu tiefem Verständnis. So zäh, wie Goldsworthy sich und seine Kunst der Natur aussetzt, folgt ihm die Kamera durch vier Jahreszeiten, nach Kanada, in die USA, Frankreich oder Schottland. Riedelsheimer begnügt sich nie mit einem Blick. Fünf vergebliche Versuche, einen Steinkegel zu bauen, werden ebenso dokumentiert wie Momente der Vollendung. Die Tiefe, der naturhafte Rhythmus von "Rivers and Tides" verdankt sich dem Zeit- und Arbeitsaufwand, der hier in neunzig Minuten steckt.
Rivers and tides
Buch/Regie: Thomas Riedelsheimer. Mit Andy Goldsworthy. Verleih: Polyfilm. 94 Min.