Verrücktes Britannien

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Die Medien des Vereinigten Königreiches üben sich in Spott über Tony Blair - und befassen sich ausführlich mit der Psychopathologie des Premierministers.

Sex it up a bit, Cherie!", ruft Tony Blair seiner Frau zu, während die, ein Mikro in der Hand und das Tanzbein schwingend, den Beatles-Song "When I'm 64" chinesischen Studenten vorträgt. Die Karikatur im Londoner Evening Standard beruht auf einem wahren Ereignis: Nachdem sich der britische Premier bei seinem China-Besuch den bohrenden Fragen von Studenten zum Irakkrieg und dem Selbstmord des Waffenexperten David Kelly hatte stellen müssen, entspannte sich die Atmosphäre erst, als Cherie singend ihre Stimme erhob.

Das "Sex it up!" (Mach es sexier!) ist nicht mehr wegzudenken aus dem Medienvokabular, seit der BBC-Journalist Andrew Gilligan der Regierung im Frühsommer vorwarf, das Geheimdienst-Dossier zum Irak "sexed up" zu haben, um eine solidere Rechtfertigung für den Angriff auf Bagdad zu haben. Damit löste er eine Kontroverse aus, die längst über die Grundfrage - warum führte Britannien diesen Krieg - hinaus in erbitterte Gefechte zwischen Downing Street No. 10 und der Presse gemündet ist. Blairs Kommunikationsdirektor Alastair Campbell hat einen regelrechten Krieg gegen die widerspenstige BBC angezettelt, dem sich die dem Medienimperium von Rupert Murdoch angehörenden Zeitungen eiligst angeschlossen haben.

"Wenn ich 64 bin..., werde ich mich dann noch immer derart er- niedrigen müssen, um die Aufmerk- samkeit von den Peinlichkeiten meines Mannes weg zu lenken?", interpretierte ein Pop-Kritiker Cheries Auftritt in der Tageszeitung Guardian. "Werden wir ihn zurückweisen, oder werden wir ihn wählen, wenn er 64 ist?", spielte ein anderer Musikkenner auf die Frage an, wie lange die Briten Blair noch ihre Stimme geben würden. Aber auch das neben "sex it up" derzeit zweite Schlüsselwort "spin" durfte nicht fehlen: "Sie [Cherie] braucht nur noch ein bisschen Spin - vielleicht ... von Tonys Freund Alastair - und sie könnte ein Star sein!", urteilte eine Operndirektorin.

Wer ist der Mann, in dessen Dienst die Spindoktoren-Maschine läuft, tatsächlich? Dies zu beurteilen waren zuletzt die Psychiater gefragt. Sie sollten die laienpsychologischen Exkurse von Journalisten untermauern. "Wie sieht also Blairs Pathologie aus? Einige meiner Kollegen (und einige der seinen) diagnostizieren Narzissmus. Andere orten Größenwahn", erörtert der Neuropsychologe Paul Broks im Magazin Prospect: "Nehmen wir an, es stellt sich heraus, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß. Nehmen wir an, dass der Premier tatsächlich an der Aufbesserung der geringen Beweise für solche Waffen beteiligt war ... Stellen wir uns also vor, dass er mit lächelnden Lippen gelogen hat ... Das Profil, das sich abzuzeichnen beginnt, ist das eines plausiblen Psychopathen - charmant, intelligent, emotional manipulierend, rücksichtslos ambitioniert und selbstdienerisch."

Nur Neurogeschwätz?

Broks betont, dass er selbst dieses "Neurogeschwätz" nicht glauben will, und Blair für einen ehrenwerten Mann hält. Der New Statesman-Journalist Peter Dunn kommt bei seinen Erkundungen in der "Couch-Gemeinde" zum Schluss, dass "das, was die meisten Menschen Spin', also die routinemäßige Ölung des politischen Getriebes, nennen, im Falle Blairs eloquente Selbsttäuschung heroischen Ausmaßes" ist. Blair sei einer der wenigen Politiker, die nie gelogen hätten, "weil sein Glaube an alles, was er sagt - über den öffentlichen Verkehr, die Spitäler, Schulen, Waffenvernichtungswaffen - absolut ist." Eine von Dunn zitierte australische Psychologin verweist auf die einem Psychopathen eigene Fähigkeit, unangenehme Tatsachen komplett zu verdrängen.

Zitiert wird auch der frühere Labour-Abgeordnete Leo Abse, der schon 1997 in seinem Buch "Tony Blair: the man behind the smile" vorhergesagt hat, dass "ein vom Traum geleitetes Regieren mit der Wirklichkeit kollidieren wird". Blair zeichne sich, so Abse, durch "seine Liebe zu allen und Feindschaft gegenüber keinem aus, außer jenen, die seine konfliktfreien Träume - den Konsens durch Diktat - stören." Der seit Jahren umstrittene Spindoktor Campbell, so lautet heute die fast einhellige Meinung, ist in seinem Bestreben, dieses Diktat den Medien aufzuzwingen, nun allerdings zu weit gegangen.

Was Abse anprangerte - die Entpolitisierung von Labour und das an Popstars und Models gemahnende Charisma der Blairs - sehen seine Anhänger als Plus. Noch haben ihrer Ansicht nach die Tories keinen ernstzunehmenden Konkurrenten. Blairs Attraktion für die Wähler als Mann der Mitte liege, wie eine Analytikerin in der Times eingesteht, gerade darin, dass er immer wie ein Eindringling bei Labour gewirkt habe. "Die Wähler wollen einen Labour-Chef, der nicht wie einer aussieht." Und Kommentatoren, die keinen (oder keinen unheilbaren) Psychopathen in Blair sehen wollen, verweisen darauf, dass ja gerade erst mal Halbzeit ist. Wenn Spinmeister Campbell - wie angekündigt - im Herbst geht, bleibe Blair genug Zeit, "sich zu erneuern", "eine weniger hysterische Beziehung mit den Medien aufzubauen" und "einen offeneren ... Ton mit den Wählern anzustimmen", urteilt das Sonntagsblatt Observer. Gewählt soll 2005 wieder werden.

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