Wahrheit als Erfindung

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Der neue Film des österreichischen Dokumentaristen Ulrich Seidl ist der erste, den er selber als Spielfilm bezeichnet. Unter der heißen Sonne des zersiedelten Raumes südlich von Wien werden erstarrte Beziehungen, sexuelle Rituale und männliche Gewalt thematisiert. Dabei wirken immer noch viele Szenen dokumentarisch, und die intendierte Verbindung von "authentischer Milieuwiedergabe mit reiner Fiktion" wird gekonnt erreicht. Durch die ständige Variation des Anteils von Inszenierung in seinen Filmen wirft Seidl auf formaler Ebene Fragen nach der (Un)möglichkeit von Kategorisierungen auf, und erstaunlicherweise verschiebt er mit "Hundstage" auch die Koordinaten seiner früheren Filme. Ab 18.

Während der heißesten Zeit des Jahres liegt man im zersiedelten Raum südlich von Wien vorzugsweise in der Sonne - im eigenen Garten oder auf dem Balkon der Wohnung. Zeit nimmt eine träge Qualität an, unterbrochen wird die Stille nur vom Lärm der Rasenmäher oder von den Stimmen der Nachbarn. Vor diesem atmosphärischen Hintergrund inszeniert Ulrich Seidl einige erstarrte Spielweisen menschlichen Umgangs.

Der Österreicher Seidl ist bisher vor allem mit dem 1995 gedrehten Dokumentarfilm "Tierische Liebe" bekannt geworden - um die Darstellung des Umgangs mit Haustieren, die teilweise bis an Sodomie grenzte, entspann sich damals eine heftige Debatte. Neben Bedenken etwas so Ekelhaftes überhaupt zu zeigen, wurde auch der Vorwurf der Sozialpornographie laut - es sei unstatthaft, die Intimitäten von im Umgang mit Medien ungeübten Menschen öffentlich zu machen. Die in Venedig preisgekrönte Produktion sorgte international für einiges Aufsehen, stellvertretend für einige empörte Medien sei die Stuttgarter Zeitung zitiert: "Nein, das ist kein Blick auf Kranke, das ist ein kranker Blick."

Ein schöneres Lob, als diesen kleinbürgerlichen Reflex, das Bedrohliche zu pathologisieren, wird man Seidl schwer machen können. Daran wird deutlich, wie schwierig es ist - im Gegensatz etwa zu den Fernsehproduktionen Elisabeth T. Spiras, die auf Quotenfang und Unterhaltung hin konzipiert sind - bei Seidls Filmen distanziert der voyeuristischen Lust zu frönen. Dass er in seiner ersten als Spielfilm deklarierten Produktion den dokumentarischen Gestus beibehält und "authentische Milieuwiedergabe mit reiner Fiktion" verbindet, verschärft noch die unausweichlichen Fragen nach dem Voyeurismus: Was darf und will man zeigen, was will man sehen und wo endet die Schaulust.

Der Freund der jungen "Miss Bad Vöslau" fährt einen violett-metallic gespritzten Opel mit Heckspoiler. Seine übermäßige Eifersucht entlädt sich in verbaler und auch physischer Gewalt gegenüber seiner Beifahrerin. In einer übergreifenden Handlung, die möglicherweise ein glückliches Ende nimmt, fiele die Szene nicht allzu sehr auf, aber mit der beinahe identischen Wiederholung des Streites bekommt sie eine schwer erträgliche Qualität. In ähnlicher Weise erscheinen auch die anderen Beziehungen unveränderlich. Wie in allen Filmen Seidls erschreckt auch diesmal die Selbstverständlichkeit, mit der die Protagonisten Dinge tun, denen das durchschnittliche Publikum verständnis- bis fassungslos gegenüberstehen wird. Daran ändert der fiktionale Anteil wenig. Nahezu ununterscheidbar bleibt, welche der Darsteller Laien sind, welche Schauspieler, ob eine Rolle gespielt wird, oder ob es sich um eine Selbstdarstellung handelt.

Ein Dokumentarfilm zeigt die Wahrheit. Mit seinem Spielfilm zeigt Seidl nicht nur Abgründe menschlichen Verhaltens, sondern weist auch deutlicher als bisher auf den komplexen subjektiv-fiktionalen Anteil der Wahrheit hin.

Österreich 2001 - Produktion: Allegro Film - Produzent: Helmut Grasser, Phillipe Bober - Verleih: Filmladen - Länge: ca. 85 Min. - Regie: Ulrich Seidl - Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz - Kamera: Wolfgang Thaler - Schnitt: Andrea Wagner, Christoph Schertenleib - Darsteller: Maria Hofstätter, Alfred Mrva, Erich Finsches, Gerti Lehner, Franziska Weiß, Christine Jirku, Victor Hennemann, Geaor Friedrich

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