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Das Linzer Filmfestival "Crossing Europe" nahm die brüchigen Lebenswelten junger Menschen - auch jenseits der eu-Grenzen - in den Blick.

Was guckst du?", fragt eine deutsch-türkische Comedy-Show allwöchentlich auf Sat.1. "Was lebst Du?", fragt - darauf anspielend - eine Dokumentation der deutschen Regisseurin Bettina Braun über eine Gruppe junger muslimischer Freunde in Köln, die vergangene Woche beim Linzer Filmfestival "Crossing Europe" gezeigt wurde. Im Vorjahr gegründet, versteht sich das von der ehemaligen Diagonale-Intendantin Christine Dollhofer geleitete Festival als Forum für junges innovatives europäisches Kino auch jenseits der eu-Grenzen - ein Kino, das kaum je den Weg in den regulären Verleih findet.

In diesem Jahr rückte "Crossing Europe" Lebenswelten junger Menschen in unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen in den Fokus. Die Frage "Was lebst du?" brachte dabei brüchige Realitäten zum Vorschein. Desolate Familienverhältnisse, Gesellschaften im Umbruch, Reibungen zwischen verschiedenen Kulturen.

Korruption in Kasachstan

In "Shiza" beispielsweise, einem von zehn Spielfilmen im internationalen Wettbewerb, erzählt Regisseurin Guka Omarova in eindrucksvollen Aufnahmen vom Erwachsenwerden eines vaterlosen Jungen im postkommunistischen Kasachstan, wo Armut und Korruption das Leben prägen. "Schizo", wie der von Olzhas Nusuppaev dargestellte Protagonist wegen seiner vermeintlichen Zurückgebliebenheit genannt wird, rekrutiert für den mafiosen Freund seiner Mutter Kandidaten für illegale Faustkämpfe. Als einer dabei ums Leben kommt, kümmert er sich um dessen Kind und Witwe.

Die Frage "Was lebst du?" stellt sich in ganz spezifischer Weise auch in "Le grand voyage", einem Roadmovie im französischen Einwanderermilieu, wo der Generationenkonflikt verschärft erlebt wird als Kulturkonflikt zwischen der elterlichen Herkunft und den Werten der neuen Heimat. Ein Vater zwingt seinen Sohn, ihn bei seiner Pilgerfahrt quer durch Europa von Paris nach Mekka zu chauffieren. Der gebürtige Marokkaner Ismael Ferroukhi inszeniert die Reise als spirituellen Weg, auf dem der starrköpfige Alte und der junge Hitzkopf schließlich doch zueinander finden.

Auch die Burschen in Bettina Brauns Doku "Was lebst du?" kommen aus marokkanischen, türkischen, tunesischen und albanischen Einwandererfamilien. Sie sind in Deutschland aufgewachsen, aber sie bleiben die meiste Zeit unter sich. In den zwei Jahren, in denen Braun sie begleitet hat, manifestiert sich ein fataler Kreislauf von Versagen und mangelndem Selbstvertrauen auf Grund sprachlicher Benachteiligung und kultureller Isolation. Berufsausbildungen werden abgebrochen, der Frust über zerplatzte Zukunftsträume in der gemeinsamen HipHop-Gruppe abgearbeitet.

Eine weitere bemerkenswerte Doku verfolgt über drei Jahre lang das Ringen eines Jugendlichen um seine eigene Entwicklung. Jean-Benoit, dessen Vater sich erschossen hat, als er zwölf war, versucht nicht zuletzt durch das Filmprojekt, seine Aggressionen und Widerstände in den Griff zu bekommen, die ihm den Weg zu seinem Traumberuf als Automechaniker verbauen. Didier Nions "Dix-sept ans" ist das intensive Dokument einer Interaktion, in der die Kamera dem Jungen ein Forum bietet und der Regisseur nicht unbeteiligter Beobachter bleibt, sondern dessen Reifungsprozess voranzutreiben sucht.

Gestohlene Wärme

Ganz allein durchschlagen müssen sich hingegen drei von ihrer Mutter verlassene sieben-, acht- und neunjährige Geschwister in "Demi-Tarif". Sie klauen, betteln, stehlen sich nachts ins Kino, um sich aufzuwärmen, wenn im Winter der Strom abgedreht wird. Spielerisch, anarchisch eignen sie sich den Schauplatz Paris an, schaffen sich ihre eigene Welt. Die erst 22-jährige Isild Le Besco, eine in Frankreich bekannte Schauspielerin, hat eine träumerische Erinnerung an einen Schwebezustand zwischen Verlorenheit und selbstbestimmter Freiheit inszeniert. Nicht zuletzt die authentische Selbstvergessenheit, mit der die Kinder vor der Kamera agieren, zeichnet dieses Spielfilmdebüt aus, das dann auch den Preis davontrug. Eine weitere, ganz andere Familiengeschichte tut sich hinter der Entstehung des Films auf: Zwei Brüder Le Bescos standen jeweils vor und hinter der Kamera, die Mutter trat als Produzentin auf.

Die Autorin ist Kulturredakteurin der APA.

Infos unter www.crossingeurope.at

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