Was Volkes Seele braucht

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Wer hätte gedacht, daß ein arbeitsloser Mechaniker mit nichtdeutscher Muttersprache zum Liebling des deutschen Fernsehpublikums werden kann? Der Spiegel widmete ihm eine ganze Seite und titulierte ihn - in Anlehnung an Deutschlands jüngsten Kultsong - als "sprechenden Maschendrahtzaun", sogar die ehrwürdige Presse analysierte zu Wochenbeginn den Deutsch-Makedonier auf ihrer prominenten Seite Drei, in der Süddeutschen konnte man - schon Ende März - Zlatko Trpkowsky in einem Atemzug mit Shakespeare, Heidegger und Nietzsche lesen: Das Münchner Qualitätsblatt konstatierte gar, Zlatko gehe "von einem eher traditionellen Subjektbegriff" aus.

Obwohl "Zladdi", wie ihn die Fangemeinde liebevoll apostrophiert, vor zehn Tagen aus der Tag-und-Nacht-Beobachtungs-Show Big Brother beim Trivial-Kanal RTL2 hinausgewählt wurde, kann er sich über mangelndes Interesse nicht beklagen: ein Auftritt des 24jährigen bei SAT.1-Ekel Harald Schmidt, eine eigene Fernseh-Show (Titel: Zlatkos Welt, seit letzten Montag ebenfalls auf RTL2), noch nie war der Looser einer TV-Show ein solcher Winner wie der schwäbelnde Handwerker mit südeuropäischem Akzent und deutschen Grammatikproblemen.

Eine hehre Schar von Kulturpessimisten warnte uns vor dem Niedergang der Menschenwürde, welcher durch TV-Schund wie Big Brother sichtbar würde. Doch das Gegenteil trat ein: Ein Underdog wie Zlatko, ein Sozialfall mit vermeintlich wenig Chancen in der Konsumgesellschaft des 21. Jahrhunderts erntet seine Lorbeeren und bringt für seine Fans Identifikation und für sich selbst ordentlich Cash.

Wo herrscht solch demokratische Gleichheit wie beim TV, bei RTL2 überhaupt? Allen Unkenrufen zum Trotz: Nicht die Menschlichkeit wird mit Füßen getreten. Big Brother ist vielmehr der Karriereknick nach oben für einen schon abgeschriebenen Zeitgenossen mit beschränkter Zukunft.

Wenn es denn eines Beweises bedurft hätte, daß die Volksseele Big Brother braucht, Zlatko hat ihn frei Haus geliefert: Sein Aufstieg ist das Osterwunder 2000 (aus der Schmuddelecke des deutschen Fernsehens).

Auch uns bleibt da wenig anderes übrig, als mit moralinsaurem Lächeln gute Miene zum Spiel zu machen.

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