Wertfreie Interessenspolitik

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Wenn nicht Menschenleben daran hingen, könnte man die Polonium-210-Geschichte als Einblick in eine dem Normalbürger verschlossene Welt fast schon genießen. Was für schillernde Typen, etwa der famose Herr Mario Scaramella, der einem Roman von John le Carré entstiegen sein könnte. Der mit dem Kreml überworfene Oligarch, der Präsident, der früher Geheimdienstagent war, Scottland Yard und jede Menge KGB - alles gibt es in dieser Inszenierung. Aber wie gesagt, gestorben wird wirklich, und eine der Theorien besagt auch, dass der Fall etwas mit der Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja zu tun haben könnte.

Sie kommt von denjenigen, die davon überzeugt sind - und dazu bedarf es beim heutigen Russland keiner allzu großen Fantasie -, dass der Kreml und seine Schergen direkt hinter der Affäre stecken: Sie haben ihnen missliebige Personen zum Schweigen gebracht. Aber auch das krasse Gegenteil wird vertreten: dass mächtige Gegner dem Kremlchef, Wladimir Putin, schaden wollen. Oder auch, dass Leute um ihn herum, weil sie Machtverlust bei seinem Abgang befürchten, die völlige Zerstörung seines Rufes betreiben, um ihm einen ungenierten Weg in eine dritte Amtszeit zu ebnen.

Zweifelsfreie Aufklärung sollte man besser nicht erwarten. Aber wer und was immer dahintersteht, das Bild, das uns Russland bietet, ist ein erschreckendes. Und wir werden in den nächsten beiden Jahren - wegen des Nachfolgekampfs für die Zeit nach Putin - mehr davon sehen. Erschreckend ist ebenso, dass die EU Russland vis-à-vis weiterhin das machen wird, was man so schön "wertfreie Interessenspolitik" nennt. Bevor wir nicht über neue Energiestrategien nachdenken, können wir uns gar nichts anderes leisten.

Die Autorin ist Außenpolitik-Ressortleiterin des "Standard".

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