Wie sicher sind Kernkraftwerke? Veraltete Reaktoren sind Risiko.

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Nicht alle Atomkraftwerke sind in gleichem Maß risikobelastet. Gefahren gehen vor allem von Reaktoren älteren Baujahrs aus. Ihre Druckbehälter sind nicht mehr zeitgemäß.

Dass die Spaltung von Atomkernen ein potenzielles Risiko darstellt, war schon Enrico Fermi bewusst. Im Jahr 1942 führte der Physik-Nobelpreisträger im Testreaktor "Chicago Pile 1“ die erste kontrollierte Kernspaltung durch. Zur Sicherheit stand ein Mitarbeiter mit einer Axt daneben. Sollte die Kettenreaktion außer Kontrolle geraten, würde er damit ein Seil durchtrennen, ein daran befestigter Kadmiumstab in den Reaktor fallen und die Kernreaktionen sofort zum Stillstand kommen. Die Berufsbezeichnung dieses Mitarbeiters war "Safety Cut Rope Axe Man“. Das daraus abgeleitete Akronym SCRAM ist bis heute als Ausdruck für die - freilich etwas modernere - Schnellabschaltung von Kernreaktoren gebräuchlich.

Kernschmelze ist größte Gefahr

Die aktuellen Ereignisse in Japan scheinen nahezulegen, dass die Technologie der Kernspaltung auch 69 Jahre später noch nicht restlos im Griff ist. Laut Internationaler Atomenergiebehörde IAEA sind derzeit weltweit 442 Atomkraftwerke (AKW) in Vollbetrieb, 65 in Bau, 5 in der Stilllegungsphase. Eine Armada potenzieller Killer? "Man kann nicht alle Atomkraftwerke über einen Kamm scheren“, meint Mario Villa, Leiter des Forschungsreaktors am Atominstitut der TU Wien. "Unterschiedliche geografische Lagen bedeuten auch unterschiedliche Risiken.“ Die größte Gefahr bei einem AKW-Unfall ist eine Kernschmelze.

Dabei erhitzen sich die Brennstäbe und verschmelzen miteinander. Im schlimmsten Fall dringt diese mehrere Tausend Grad heiße, radioaktive Schmelze durch den Reaktormantel und verstrahlt die Umwelt. Die verheerenden Folgen einer solchen Katastrophe hat Tschernobyl 1986 verdeutlicht.

Selbst wenn die nukleare Kettenreaktion rechtzeitig beendet wird, wie in den japanischen AKWs, bleibt die Gefahr einer Kernschmelze bestehen. Denn radioaktive Spaltmaterialien haben eine Nachbrennzeit und müssen noch tagelang gekühlt werden.

"Die Nachzerfallsprodukte erzeugen auch nach der Abschaltung des Reaktors noch Wärme“, sagt Villa. "Die Nachkühlung ist deshalb die Hauptschwierigkeit bei einem Unfall.“ So hielt das japanische AKW Fukushima I zwar dem Erdbeben weitgehend stand, die nachfolgende Flutwelle hat jedoch die Dieseltanks der Notstromgeneratoren weggespült. Dadurch gab es kurzfristig keine Stromversorgung für eine ausreichende Kühlung. Ist die Reaktorhülle beschädigt, können freilich schon vor und unabhängig von einer Kernschmelze radioaktive Materialien wie Jod oder Cäsium in die Umgebung entweichen und Nierenschäden oder Schilddrüsenkrebs verursachen.

Abhängig von der Schwere des Unfalls und den Auswirkungen auf die Umwelt wird jeder Störfall in einem AKW auf der sogenannten INES-Skala (International Nuclear Event Scale) eingeordnet. Tschernobyl ist mit INES 7 eingestuft. Die weitaus meisten Störfälle sind vergleichsweise harmlos, ein Transformatorbrand im deutschen AKW Krümmel 2007 hatte den INES-Wert null.

Das erste kommerzielle AKW ging 1954 in Russland in Betrieb. Seither hat die Sicherheitstechnik große Fortschritte gemacht. Als besonders sicher vermarktet der französische Industriekonzern Areva seinen neuen Kraftwerkstyp EPR (European Pressurized Water Reactor). Im Fall einer Kernschmelze soll diese in ein keramisches Auffangbecken abfließen. Durch die Vergrößerung der Oberfläche lässt sich die Schmelze dann mit zugeführtem Wasser zuverlässig kühlen. Zusätzlich soll eine gasdichte, doppelwandige Schutzhülle das Austreten von radioaktivem Material verhindern. Obwohl Kritiker weiterhin ihre Bedenken an dem Sicherheitskonzept haben, sind derzeit drei solcher Anlagen in Finnland, Frankreich und China in Bau. Der EPR gehört zur sogenannten Generation III+ von AKWs. Noch eine Stufe sicherer werden Kraftwerke der vierten Generation sein, die derzeit von den Euratom-Mitgliedstaaten und zwölf weiteren Staaten entwickelt werden. Geplanter Einsatz: nicht vor 2030.

Gefahren veralteter Bauweisen

Energieexperte Radko Pavlovec, früherer Anti-Atom-Beauftragter des Landes Oberösterreich, ist skeptisch. "Trotz aller Vorkehrungen kann man gewisse Risiken niemals ausschließen“, meint er. "Etwa ein abstürzendes Flugzeug oder terroristische Angriffe.“ Viel größere Sorgen als die neuen Generationen bereiten ihm die veralteten AKWs rund um Österreich, die in Tschechien, Ungarn und der Slowakei stehen. Sie gehören einem sowjetischen Typ aus den 1970er-Jahren an. Was Pavlovec besonders beunruhigt ist, dass diese Anlagen über keinen zeitgemäßen Druckbehälter verfügen. Fällt das System zum Druckabbau bei diesen Anlagen aus, kann es zu einer Explosion kommen. "Leider versuchen die Betreiber solcher Anlagen immer wieder, Betriebsverlängerungen zu erwirken“, beklagt Pavlovec. Moderne Atomkraftwerke schließen nahezu alle denkbaren Risikofälle aus. Wie man allerdings in Japan gesehen hat, tritt zuweilen auch das Undenkbare ein.

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