"Wir alle sind Engel"

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"Global Village", "The Medium is the Message - Das Medium ist die Botschaft": Der Medientheoretiker Marshall McLuhan (1911-80) ist aktuell wie eh und je.

Vor 25 Jahren starb der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan, der mit seinen Büchern "The Gutenberg Galaxy" und "Understanding Media" den Weg für ein grundsätzlich neues Medienverständnis ebnete. Sein oft zitierter Slogan "The Medium is The Message" führte zum ersten Mal vor Augen, dass die Medien etwas Anderes sind als die von ihnen transportierten Inhalte. Bald nach seinem Tod in Vergessenheit geraten, erlebt seine Theorie im Zeitalter des Computers eine Renaissance.

"Es ist heute modern, Marshall McLuhan zu zitieren, aber nur wenige verstehen, was er tatsächlich gemeint hat", meint Michael Edmunds, stellvertretender Direktor des McLuhan Programms an der Universität Toronto: "McLuhan war ein Spaßvogel. Er erklärte seine Thesen oft mit Witzen, deswegen nahmen ihn manche als Wissenschaftler nicht ernst. Seine Theorie war Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre zu revolutionär, als der Computer gerade seine ersten Schritte machte und das Fernsehen bei weitem nicht seine heutigen technischen Möglichkeiten hatte. Deswegen war es leicht, seine Medienanalyse als Provokation oder als Show abzutun."

Durch Woody Allen populär

Edmunds kam 1977 aus Detroit nach Toronto, um bei McLuhan zu studieren, der damals bereits mehr als 30 Jahre englische Literatur am St. Michael's College der Universität Toronto lehrte. "Damals war McLuhan dank seiner Fernsehauftritte und seiner Mitwirkung in Woody Allens Film Annie Hall' (dt. Der Stadtneurotiker') ein Star", erzählt Edmunds: "Sogar die Kinder auf der Straße haben ihn erkannt."

Der Literaturprofessor habe zwar den Ruhm genossen, was ihn aber nicht davon abgehalten habe, einen neuen Unterrichtsstil zu entwickeln.

Als Edmunds nach Toronto kam, bestand das von McLuhan gegründete Institute for Culture and Technology bereits 15 Jahre: "Das war eine interdisziplinäre Einrichtung, wo Studenten unterschiedlicher Fächer und Fachleute aus Wirtschaft, Kunst und Politik zusammentrafen, um über das Wesen der Medien zu reden." Zu McLuhans "Talks am Campus" kamen bedeutende Persönlichkeiten, darunter der kanadische Ministerpräsident Pierre Trudeau.

"Dann hatte McLuhan einen Schlaganfall und es wurde still um ihn." Ein Jahr vor seinem Tod, am Silvesterabend 1980, verlor der Wissenschaftler, der das Erlangen von Erkenntnissen hauptsächlich durch Dialog und nicht so sehr im einsamen Brüten vor den Büchern sah, seine Fähigkeit zu sprechen. Der einzige Satz, den er noch habe sagen können, sei "Boy, oh boy!" gewesen.

"Als er starb, zeigte sich bald, dass man seine neuen Lehrmethoden nicht mochte", erinnert sich Edmunds. Die Universität Toronto schloss kurzerhand McLuhans Institut, was aber eine weltweite Empörung auslöste. Also wurde es unter dem Namen McLuhan Program in Culture and Technology 1982 wieder eröffnet.

Heute erinnern sich viele Studenten in Toronto an McLuhan erst in Verbindung mit Slogans wie "The Medium is The Message" oder "Global Village". Angesichts der wachsenden Anzahl der Publikationen und Filmdokumentationen über ihn ist aber eine deutliche Renaissance des Wissenschaftlers und seiner Theorie festzustellen. Auch das Showbusiness bedient sich seines Namens: Ende September fand in Toronto zum zweiten Mal das "McLuhan Festival" (www.mcluhanfestival.com) statt. Wissenschaftliche Hoffnungen setzt Edmunds in die geplante McLuhan School, die das Programm ersetzen und als eine umfassendere Einrichtung der Universität Toronto zur Verbreitung von McLuhans Lehre entstehen soll.

Die entkörperte Menschheit

"McLuhan zu verstehen ist wichtig für unsere digitale Welt", so Edmunds: "Die beste Universität ist heute das Internet; die Studenten kommen nur wegen der Gemeinschaft und nicht mehr wegen der Information zur Universität." Das Zerfallen der gewohnten Strukturen des Bildungswesens und der Politik sah McLuhan bereits vor drei Jahrzehnten voraus, ebenso die "Entkörperung" der Menschen durch die neuen Medien und Technologien: Wer Telefon, Computer oder Fernsehen benutzen, verliert den Körper und damit seine Identität.

McLuhan, der mit 26 Jahren zur katholischen Kirche konvertierte, brachte auch Theologie in seine Medienanalysen. Er kreierte den Begriff Angelism: Durch die neuen Medien und Technologien seien alle zu Engeln - Wesen ohne Körper - geworden. "McLuhan ging jeden Tag zur Messe und machte sich Gedanken über die katholische Kirche", Edmunds. Das eigentliche Problem für die Kirche habe McLuhan darin gesehen, dass sie mit den vielen Engeln nichts anzufangen wisse.

INFOS: www.mcluhan.utoronto.ca

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