Zeit für „slow news“

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Die Wirtschaftsjournalistin Christiane Oppermann über schnelllebige Nachrichten und den richtigen Umgang mit der Informationsflut.

Die Furche: Frau Oppermann, wir sind mit einer Flut von Informationen konfrontiert. Wie kann man als Konsument zwischen Relevantem und Irrelevantem unterscheiden?

Christiane Oppermann: Es geht darum, dass Sie selber wissen müssen, was Sie wollen. Will ich jetzt das billigste Angebot für Gummistiefel? Will ich mich informieren, weil ich etwas nicht mitgekriegt habe? Dann muss ich überlegen, wo ich die Informationen suche. Google ich das – und wenn ich das google, wie mache ich das. Nehme ich den erstbesten Treffer? Oder nehme ich doch eine Zeitung? Für eine grundsätzliche Information nehme ich wahrscheinlich Wikipedia. Wenn ich mich informieren will, muss ich jedenfalls wissen, was ich brauche. Ich muss lernen, wie ich meine Suchroute legen kann.

Die Furche: Das erfordert Medienbildung. Wo sollte man hier ansetzen?

Oppermann: Man versucht ja immer mehr, das Internet in den Schulunterricht einzubeziehen. Es gibt durchaus Lehrer, die sagen: „Wir sind schon froh, wenn Kinder am Computer arbeiten und schreiben und chatten.“ Da muss man sich schon fragen: Reicht das? Sind das nicht verschenkte Möglichkeiten? Muss man nicht jungen Menschen beibringen, wie man seriöse Seiten von unseriösen Seiten unterscheiden kann? Ich glaube, man muss ihnen eine Art Rüstzeug mitgeben, wie man solide Information findet und was zuverlässige Lieferanten von Informationen sind. Das sollte man eigentlich schon Kindern beibringen.

Die Furche: Hier wäre vermutlich auch in die Erwachsenenbildung zu investieren …

Oppermann: Ja, da ist einiges zu tun. Eine ganze Generation, eigentlich alle, die „digital immigrants“ sind, haben hier eine Lücke. Aber sie haben andererseits noch eine Schulerziehung genossen, die durchaus dialektische Denkmodelle verfolgt hat: Da gab es noch die Auflage, sich selbst um Wissen zu kümmern, Wissen zu erarbeiten, Argumente abzuwiegen, alte Denkmodelle anzuwenden, um zu einem Schluss zu kommen. Die sind nicht so gefährdet. Gefährdet ist die Powerpoint-Generation, die gelernt hat, dass man jedes Thema mit Überschriften und drei Unterpunkten ausführlich behandeln kann. Und die auch keine Zweifel zulässt. Man muss im Umgang mit dem Internet sehr viele Zweifel haben.

Die Furche: Sehen Sie hier schon Ansätze seitens der Politik, um den Umgang mit neuen Medien in den Unterricht einzubeziehen?

Oppermann: Eigentlich nicht. Zumindest in Deutschland sind wir noch in einem Stadium, dass wir froh sind, wenn wir überhaupt Computer an den Schulen haben.

Die Furche: Kommen wir von der Schule zum hektischen Journalismus, in dem Sie ja beheimatet sind. Sie fordern vermehrt „slow news“ ein. Was bedeutet dieser Begriff?

Oppermann: Das kommt natürlich aus dem Ernährungs-Bereich und lehnt sich an „slow food“ an. Worum es mir geht, ist Folgendes: Es gibt ja diese gehypten Nachrichten über Popstars oder über Empfindlichkeiten von Internetsurfern – diese Chatrooms und Foren. Manchmal findet sich darunter auch eine interessante Information. Aber hier ist sehr viel Junk, Müll dabei. Sehr viele Nachrichten sind aufgebläht und direkt von Firmen ins Netz gestellt. Da muss man vorsichtig sein. Nach der alten, journalistischen Schule muss man sich aber ansehen, wo die Nachricht herkommt. Wir brauchen also das, was wir bereits im „slow food“-Bereich haben: Dass wir auf gesunde Nahrungsmittel achten, dass wir auf eine gesunde Zubereitung Wert legen, dass wir wissen, wo alles herkommt. Diese Prinzipien habe ich übernommen und auf „slow news“ angewandt, um klarzustellen, dass es sich in diesem Fall um Hintergrundberichte handelt, auf die man sich verlassen kann. Diese „slow news“ brauchen wir, um uns gerade in Zeiten der Datenflut zurechtfinden zu können. Wir müssen ja wissen: Wonach suchen wir eigentlich? Welche Entwicklung können wir verfolgen?

Die Furche: Ein Beispiel?

Oppermann: Zum Beispiel 9/11: Damals herrschte stundenlang Orientierungslosigkeit, weil keiner wusste, was vor sich ging. Man sah immer irgendwelche Flugzeuge, die abstürzten, und die Moderatoren waren auf dem gleichen Stand wie die Zuschauer. Sie konnten nur die Bilder kommentieren, die ihnen zugespielt wurden. So etwas ist eine kritische Situation: Hier wird klar, wie sehr man Orientierung braucht. Wir können ein Erdbeben einschätzen, wenn uns jemand sagt: Das ist Stärke 7 auf der nach oben offenen Richterskala. Da weiß jeder: Das ist ein Schuttfeld. In dem Moment, wo wir auf Situationen und Ereignisse stoßen, wo es uns an Erfahrung fehlt, müssen wir uns auf jemand anderen verlassen können. Wir müssen nachfragen und wir brauchen Informationen. Und das sind diese „slow news“.

Die Furche: Dafür braucht es aber auch Medien und Journalisten, denen man Vertrauen schenken kann.

Oppermann: Und dafür braucht es Verlage, die wissen, dass gute Nachrichten wichtig sind, dass sie Geld bringen, aber dass sie erst einmal Geld kosten.

Die Furche: Gerade Wirtschaftsmeldungen sind schnell und auch oft schnelllebig. Wie können in diesem Treiben „slow news“ bestehen?

Oppermann: Man muss aufhören, ständig hinter jeder Meldung hinterher zu hecheln. Wenn man über bestimmte wirtschaftliche Vorgänge berichten will, dann muss man sich sehr genau überlegen, was man voraussetzen kann. Und oft kann man sehr wenig voraussetzen. Wenn man eine Geschichte über den Ölpreis machen will, sollte man also gut erklären, worum es eigentlich geht. Das sind dann „slow news“ – das kann sich der Leser zur Seite, auf den Kaffeetisch legen und sich sagen: Wenn ich etwas brauche, dann sehe ich hier nach. Diese Geschichte muss aber auch gut recherchiert werden. Das ist teuer, aber auch nachhaltig.

Die Furche: Gelegentlich wird das Ende von Zeitungen und des Printjournalismus insgesamt herbeigeredet. Glauben Sie an solche Szenarien?

Oppermann: Nein, das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Es geht auch nicht nur um Print, sondern um konventionelle Medien und konventionellen Journalismus überhaupt. Ich glaube, dass dieser Journalistmus nicht tot ist. Und ich glaube auch nicht, dass er so schnell stirbt.

Das Gespräch führte Maria Stradner.

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