Zwischen den Fronten

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Die Medienfreiheit in der Ukraine geht mit der Niederschlagung der Protestbewegung zu Ende. Kritische Sender werden geschlossen, Journalisten verfolgt.

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Die Medienfreiheit in der Ukraine geht mit der Niederschlagung der Protestbewegung zu Ende. Kritische Sender werden geschlossen, Journalisten verfolgt.

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Wenn Michailina Skoryk zur Arbeit geht, hat sie einen Schutzhelm, eine Skibrille und eine kugelsichere Weste dabei. Die 34 Jahre alte Reporterin arbeitet beim Fernsehsender TRK und berichtete in den vergangenen Wochen von den Straßenkämpfen in Kiew. Mit der Brille schütze sie sich gegen Tränengas, mit der Weste gegen Gummigeschosse der Polizei. "Journalisten sind beiden Seiten lästig", sagt Skoryk, "der Polizei und den Demonstranten."

Bei den Protesten, die im November mit friedlichen Pro-Europa-Demonstrationen begannen und später in eine gewaltsame Revolte gegen die Regierung umschlugen, sind bisher 124 Reporter verletzt worden. Und das war erst ein Anfang. Bei den Straßenschlachten und der versuchten Räumung des Maidan durch die Berkut-Sicherheitskräfte am Dienstag, bei dem 24 Menschen starben, wurde auch ein Journalist getötet. Vjacheslaw Jeremij wurde nach unbestätigten Meldungen von vermummten Männern aus einem Taxi gezerrt und in die Brust geschossen. Der Reporter der Zeitung Vesti erlag seinen Verletzungen Mittwoch früh. Vesti verlangt nun sofortige Aufklärung über das Geschehen.

Auf der Gruschewskowo Straße in Kiew, wo im Jänner Straßenschlachten tobten, habe die Polizei gezielt Reporter attackiert, berichtet Journalistin Skoryk. Die Polizei habe mit Gummigeschossen auf die Köpfe ihrer Kollegen gezielt, ihnen mit Nägeln gefüllte Blendgranaten vor die Füße geworfen sowie Fotoapparate und TV-Kameras zertrümmert. "Dabei waren wir eindeutig durch unsere Ausweise und leuchtenden Westen zu erkennen." Als im Dezember zweitausend Menschen vor dem Präsidentenpalast in der Bankowa Straße demonstrierten und Krawalle ausbrachen, prügelten fünf Polizisten auf zwei Reporter von Euronews ein, die vor einem Hauseingang filmten.

Auch radikale Demonstranten, die im Jänner Autos anzündeten und Molotow-Cocktails auf die Polizei schleuderten, wollen die Presse aussperren. "Sie ließen uns nicht durch die Barrikaden und drohten, unsere Ausrüstung wegzunehmen", berichtet Reporterin Skoryk. Im Dezember sei sie von Demonstranten daran gehindert worden, die Krawalle vor dem Präsidentenpalast zu filmen.

Gewalt gegen Aufklärer

Nicht nur bei den Protesten werden Journalisten an der Arbeit gehindert. Im Jänner verprügelten drei Männer die Redakteurin Tatjana Chernovil, die über persönliche Bereicherung von Politikern berichtete. Die Angreifer drängten Chernovils Wagen von der Straße ab, zerrten sie aus dem Auto, traten und schlugen auf sie ein und ließen sie bewusstlos im Straßengraben liegen.

Chernovil hatte mehrere Artikel über Präsident Janukowitschs 140 Hektar große Luxusresidenz publiziert und glaubt, die Präsidialadministration habe sie zum Schweigen bringen wollen. Die Staatsanwaltschaft Kiew, die den Fall untersucht, bestreitet das.

Solche Angriffe waren bisher Einzelfälle, die Polizei-Attacken während der Proteste scheinen Gewaltexzesse zu sein. "Die Medien sind immer noch freier als in Russland oder Weißrussland", sagt Viktoria Bilasch, 24, Redakteurin des Medienmagazins Telekritika. Oppositionszeitungen wie Zerkalo Nedelja, Djen oder Kyiv Post können erscheinen, kritische TV-Kanäle wie Kanal 5 oder TVi auf Sendung gehen. Auch habe die Regierung noch nicht das Recht, Internetseiten zu sperren, fügt Bilasch hinzu. Die Presse hat sich ihre Freiheit mit der Orangenen Revolution erkämpft, die 2004 das autoritäre Regime von Präsident Leonid Kutschma beendete und zur Wahl des pro-europäischen Wiktor Juschtschenko führte.

"Doch diese Freiheit wird immer mehr beschränkt", sagt Bilasch. Journalisten, die kritisch über die Regierung berichten, hätten Angst, entlassen zu werden.

Fast alle Massenmedien werden in der Ukraine von Oligarchen kontrolliert, die dem Präsidenten nahe stehen. "Sie wollen mit den Medien kein Geld verdienen, ihnen geht es hauptsächlich um politischen Einfluss", erklärt Bilasch. Deshalb würden sie sich selbst zensieren.

Der Fernsehsender Inter, der zu den größten TV-Kanälen der Ukraine zählt, bezeichnet die Demonstranten in Kiew als Radikale, Extremisten und Neonazis. Dass die Mehrheit friedlich demonstriert, verschweigt der Sender. Inter gehört zu 70 Prozent dem Oligarchen Dimitri Firtasch, der im Erdgashandel tätig und eng mit Präsident Janukowitsch befreundet ist. Die Zeitung Segodnja, die zum Imperium von Rinat Achmetow gehört, tituliert die Protestler als von "ausländischen Agenten" angestachelte "Störenfriede".

Nur wenige TV-Kanäle würden ausgewogen berichten, erklärt Viktoria Bilasch, wie die Sender TVi und Kanal 5. TVi, gegründet von einem Ex-Yukos-Manager, der zerschlagenen Ölfirma des russischen Oligarchen Michail Chodorkowski, ist mit einem Marktanteil von nur 0,32 Prozent fast bedeutungslos. Kanal 5 ging das erste Mal während der Orangenen Revolution auf Sendung und berichtete damals als einziger TV-Kanal neutral über die Präsidentenwahlen. Als die Kutschma-Regierung deshalb drohte, den Sender zu schließen, trat die Redaktion in den Hungerstreik. Mitte 2010 musste Kanal 5 auf Anordnung eines Gerichts TV-Frequenzen abtreten und verlor an Reichweite. Die Frequenzen bekam ausgerechnet die von Oligarch Firtasch kontrollierte Inter Mediengruppe zugesprochen.

Kanal 5 ist zwar klein, spielt jedoch eine große Rolle in der politischen Berichterstattung. "Kanal 5 zeigte während der Proteste sehr viele Hintergrundreportagen und berichtete live von den Straßenschlachten", sagt Medienexpertin Bilasch.

Oligarchen als Finanziers

Doch auch Kanal 5 hängt am Finanzhahn eines Oligarchen: Der Sender gehört Petro Poroschenko, dem Eigentümer von "Roschen", der größten Schokoladenfabrik des Landes. Der Geschäftsmann mit dem Spitznamen "Schokoladenkönig" hat die Orangene Revolution mitfinanziert und befürwortet ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU. "Europa würde uns auf den Weg zu einer fairen Justiz, Pressefreiheit und mehr Demokratie führen", sagt Poroschenko. Offensichtlich war das zu viel gesagt. Kanal 5 wurde am Dienstag auf Anordnung der Regierung geschlossen.

Journalisten sehen in der Abhängigkeit der Medien von Oligarchen die größte Gefahr für die Pressefreiheit - egal auf welcher Seite die Eigentümer stehen. Deshalb haben sich in Kiew Journalisten zusammengeschlossen und die Internetsender Hromadskij TV (Bürgerfernsehen) und Espresso TV gegründet. Die Kanäle arbeiten ohne offizielle Lizenz, Bilder werden über Youtube live gestreamt. "Wir finanzieren uns selbst und müssen keine Rücksicht auf Geschäftsleute nehmen", sagt Dimitri Hnap, Mitgründer von Hromadskij TV. Geld sammelt der Sender durch Spenden der Zuschauer oder Zuwendungen internationaler Geldgeber. Die US-Botschaft in Kiew soll 50.000 Dollar, die niederländische Botschaft 100.000 Dollar beigesteuert haben.

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