Zwischen Skylla und Charybdis

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Der ORF hat Zukunft.Aber weder als elitärer Nischensender, noch durch ungebremste Quotenjagd.

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Der ORF hat Zukunft.Aber weder als elitärer Nischensender, noch durch ungebremste Quotenjagd.

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Der RTL-Chef Helmut Thoma nennt drei Programminhalte, mit denen ein breites Publikum (und somit eine breite Werbeschicht) zu elektrisieren sei: Sport, Porno und große Spielfilme. Daran wird sich nichts ändern, auch wenn bei RTL der Österreicher Thoma dem Österreicher Zeiler die Stafette übergibt. Es wird sich auch nichts daran ändern, daß der ORF - wie immer sein nächster Generalintendant heißt - mit der Herausforderung eines allein vom Kommerz berechneten Programmerfolgs der Konkurrenten leben muß. Dabei ist fast schon egal, ob das vielbeschworene österreichische Privatfernsehen, das eher ein deutsch-österreichisches Privatfernsehen zu werden scheint, kommt oder nicht.

Gerhard Zeiler hat in seinen dreieinhalb Jahren Intendantenzeit für den ORF gekämpft, zweifellos. Manches ist ihm geglückt, so der Tritt auf die Bremse bei einer aus der Bacher-Ära stammenden Kostenautomatik am Küniglberg. Er ist ebenso verantwortlich für schwere Mißgriffe. Für "Vera" sollte der nächste Generalintendant sofort nach Amtsantritt einen Platz im Filmarchiv suchen, weil diese Sendung für das noch immer vorhandene journalistische Ethos des ORF das bedeutet, was für die Badewanne der Abfluß ist. Zur Mängelliste gehört auch, was Zeiler nicht oder nicht mehr getan hat. Hugo Portischs Bemerkung, daß Dokumentationen wie seine Österreich-Serie mit Blick auf die Quote gar nicht mehr projektiert werden könnten, ist die Beschreibung einer fatalen Entwicklung. Mit seinen Stärken und Schwächen paßte Gerhard Zeiler zu den Stärken und Schwächen des Systems, zu dem vor allem die Politik zu rechnen ist.

Nach einigen Monaten, vielleicht wenigen Jahren, wird deutlicher als heute zu sehen sein, daß die Zeiler-Jahre in jeder Weise ein Übergang gewesen sind. Da wurde aus Angst vor dem kommerziellen Waldbrand nicht nur gelöscht, sondern auch gezündelt - aus der Überlegung heraus, daß es tatsächlich so etwas wie wirksame Gegenfeuer geben könnte. Wenn die Übergangsphase vorbei ist, wird es in Österreich einige funktionierende Privatradios geben (noch mehr werden aus kommerziellen Gründen wieder verstummen), es wird vielleicht ein zusätzliches privates Fernsehen geben, mit dem der ORF schon oder auch nicht verflochten ist, und in dem vielleicht auch Zeitungen mitbestimmen. Und es wird einen Kampf um einen Werbekuchen geben, der für 1997 mit rund 20 Milliarden Schilling beziffert ist und auf alle Werbeträger (Zeitungen, Zeitschriften, Radio, TV, Plakate, Prospekte) aufgeteilt werden wird.

Falls das Wirtschaftswachstum anhält, wird diese Summe so wie in der Vergangenheit wachsen, aber nie so sprunghaft, daß sich die ökonomische Situation der von den Geldern abhängigen Medienunternehmen grundlegend veränderte. Das heißt: Letztlich ist zu wenig da, auch für den ORF. Er wird alle Anstrengungen unternehmen müssen, wenn er so wie heute die Hälfte seines Aufwands aus den Werbeeinnahmen finanzieren will. Und falls die ORF-Gewaltigen dann, wenn die elektronische Welt durchkommerzialisiert ist, noch immer zündeln sollten, werden sie schmerzhafter als in der Ära Zeiler spüren, daß die Rivalen viel rascher und auch ungenierter herumfackeln.

Kasperl & Krokodil Die Mediendiskussion zeichnet sich in Österreich so wie viele andere Diskussionen kaum durch sachliches Bemühen aus, sehr oft aber durch Kasperl-Krokodil-Spiele. Dabei darf man freilich nicht vergessen, daß gerade der ORF bis hinein in seine Hauptnachrichtensendungen zur beliebtesten Kultstätte für solche Spiele geworden ist, während eine Sendung für sachliche Auseinandersetzung über Medien, nämlich "Schwarz auf Weiß", unmittelbar nach Zeilers Amtsantritt gekillt wurde. Das ist Vergangenheit.

Die Zukunft: Der ORF und mit ihm Österreich muß einen dritten Weg finden. Der erste Weg wäre die "Bundestheater-Lösung", die darin bestünde, unter falscher Auslegung des öffentlich-rechtlichen Auftrags einen rachitischen, aber sehr gescheiten Bildungssender zu machen, den wenige nutzen, für den aber alle zahlen müßten, weil sein Defizit aus Steuern gedeckt würde. Einen Nischensender im deutschsprachigen Raum, dem genauso Anerkennung gezollt würde wie der von Hundertwasser behübschten Müllverbrennungsanlage in der Spittelau, von der die fremden Besucher sagen: Erstaunlich, was sich die Österreicher leisten. Der zweite Weg: die uneingeschränkte Kommerzialisierung, die Herstellung maximaler Einschaltquoten auf minimalem Niveau. Davon gab's zwar schon einiges zu verkosten, doch weiß auch Generalintendant Zeiler genau, daß dies ein Weg ins Verderben ist: Qualität mag oben einen Plafond haben, Primitivität hat nach unten keinen Boden. Bleibt allein der Versuch, das öffentlich-rechtliche Schinakel ORF zwischen Skylla und Charybdis mit Kraft und Anstand durchzusteuern: todesmutig, aber auch in der nicht abwegigen Überzeugung, daß auch die Luxusdampfer rundum nicht über die Wetterlage auf dem medialen Weltmeer bestimmen können.

Sowohl die quasi-kulturelle Auszehrung als auch die ungebremste Quotenjagd würden zum Verlust der österreichischen Identität in Fernsehen und Rundfunk führen. Sollten die Politiker das endlich zugeben, dann würden sie auch nicht länger mit abgestandenen Föderalismusrezepten die Zeit vergeuden, sondern handeln: eine vernünftige ORF-Reform durchziehen, die dem ORF zumindest die Chance läßt, das populäre Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsmedium der Österreicher und vieler Österreich-Sympathisanten zu bleiben, ohne die öffentlich-rechtliche Verankerung aufzugeben und die ökonomische Basis zu verlieren.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur des WirtschaftsBlattes.

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