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„Agon”, „Ruth” und elektronisches Ballett

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Für ihren Premierenabend mit zeitgenössischen Balletten hatte die Wiener Staatsoper Yvonne Georgi vom Landestheater Hannover eingeladen, und auch hochgespannte Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Obwohl Frau Georgi nur etwa sechs Wochen mit den Tänzern des Staatsopernballetts arbeiten konnte, hat sie in vier grundverschiedenen Werken nicht nur den Reichtum ihrer Palette demonstriert, sondern das Ensemble auch zu ungewöhnlichen Leistungen angespornt.

Gewissermaßen als „levėe de rideau” brachte Frau Georgi eines der berühmtesten klassisch- romantischen Ballette nach der Originalchoreographie von M. Fokin: „Les Sylphides” auf eine Suite von Chopinschen Klavierstücken, die Roy Douglas schlecht und recht instrumentiert hat. It lff “ri fiSigen bläugfflns’A’Grtffte’ gäb” ei’ SÄtfetfä! und lebende Bilder von großem artistischem Reiz, in denen sich freilich die jungen Solisten (Margaret Bauer-Pokorny, Dietlinde Klemisch, Gerlinde Dill und Richard Adama) mehr auszeichneten als das Corps de ballet.

„Agon” (Wettkampf), in den Jahren 1953 bis 1957 komponiert, ist Strawinskys vorläufig letztes Ballett, dessen Partitur die Entwicklung vom Neoklassizismus zur seriellen Technik widerspiegelt: ein ungewöhnlich schwieriges, konzentriertes, auch klanglich sprödes Werk, das in seiner Kurzatmigkeit und rhythmischen Vertracktheit nicht nur den Musikern, sondern auch dem Choreographen und den Tänzern harte Nüsse zu knacken gibt. Die Zahl 12 regiert durchaus: ein Ballett in zwölf Miniatursätzen, für zwölf Tänzer — in Zwölftontechnik. Hier zeigte sich nicht nur die hohe Musikalität und der enorme Erfindungsreichtum der Choreographin, sondern auch die Tüchtigkeit und Disziplin der jungen Tänzer. (Leider ajich die Unvertrautheit des Orchesters mit schwieriger neuer Musik. An dem Dirigenten Michael Gielen lag es bestimmt nicht, daß man von Strawinskys Partitur nur einen sehr beiläufigen Eindruck bekommen konnte.)

Der 35jährige deutsche, aus der Schule Boris Blachers kommende Komponist Heimo Erbse war der Autor des an diesem Abend uraufgeführten biblischen Balletts „Ruth”, dessen Libretto von Gale Hofman stammt und das auf Anregung der verstorbenen Wiener Ballettmeisterin Erika Hanka von der Staatsoper angenommen wurde. Der Librettist hat die zweite Hälfte des Buches „Ruth” zu dramatisieren versucht: die Geschichte der Naemi, die aus dem Lande der Moabiter, nachdem dort ihr Mann und ihre beiden Söhne gestorben waren, mit ihrer treuen Schwiegertochter Ruth nach Juda zurückkehrt. Diese wird als Fremde feindselig empfangen, findet aber Wohlgefallen beim reichen Boas, der sfe — die Bescheidene und Folgsame — zu seiner Frau erhöht. Nun jubelt auch das Volk mit Freudentänzen ihr zu. Diese große „Danse generale” sowie ein Erntetanz der Mägde im ersten Akt sind die Höhepunkte der Musik und der Choreographie. Hier ist Erbses Musik farbig und interessant, obwohl auf weite Strecken manchmal etwas zu tumultiös. In anderen Teilen dieses „Handlungsballetts” vermißt man die klare formale Gliederung. Die Instrumentation erinnert oft an Rimsky-Korsakow und an den Strawinsky des „Sacre”, auch in ihrer Bi- und Polytonalität. In den Hauptpartięn: Christi Zimmerl (Ruth), Lucia Brauer, Willy Dirtf und Carl Raimund.

In den östlich kolorierten Bühnenbildern (blau- schwarzer Hintergrund mit zahllosen gelben Sternen, Wüstenbraun und Kakteengrün) und den leicht stilisierten Kostümen wirkten die Tänzer manchmal wie Gestalten von Hodler. — Detten Schleiermacher, der das Ballett „Ruth” ausstattete, hat auch das (einzige) Bühnenbild und die Kostüme der 25 Tänzer geschaffen, die in „Evolutionen” mitwirkten.

Henk Baldings, 1907 auf Java geboren und in Holland lebend, hat zum zweitenmal für Yvonne Georgi eine elektronische Musik geschaffen, die etwa eine Viertelstunde dauert und in Suitenform angelegt ist (Einführung, Air, Ragtime, Intermezzo, Walzer und Finale). Sie wurde mit Hilfe von Sinusgeneratoren, Multivibratoren, einem Rauschgenerator, einer Photosirene und elektrischen Schlaginstrumenten auf Tonband produziert und wird durch zahlreiche Lautsprecher wiedergegeben. Diese Geräuschmusik, unheimlich und faszinierend, wurde von Yvonne Georgi in entsprechende hektische, abrupte, groteske und quasi irreale Bewegungen umgesetzt. Die jungen Tänzer der Wiener Staatsoper haben diesen Stil überraschend sicher erfaßt und mit dieser Leistung den lebhaftesten Beifall des interessanten Ballettabends erzielt.

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