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Aus Amerika: Musical und Kammeroper

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„W o n d e r f u 1 T o w n“, das zweite in der Volksoper gezeigte Musical, war mit der Hypothek des Serienerfolges von ,.Kiss me, Kate“ belastet. Dessen reizvolles, von Shakespeare entlehntes Sujet und die brillante Inszenierung waren kaum zu überbieten, wohl aber die Musik. So richtete sich beim neuen Stück das Interesse zunächst auf die Partitur von Leonard Bernstein, dem erfolgreichen amerikanischen Dirigenten und Autor zweier Symphonien („Jeremiah“ nach Worten aus dem Alten Testament und „The Age of Anxiety“ von 1949). Gewiß, einzelne Nummern, so die Ouvertüre mit dem harten Geschmetter der Jazztrompeten und einige rasante Tänze zeigen die Klaue des Broadwaylöwen. Aber daneben gab es musikalisch so viel Süßes und Rosenrotes im traditionellen Operettenstil, daß uns Zweifel ankamen, ob wir die vielgerühmte Bernstein-Partitur in ihrer Originalgestalt gehört haben. Die hochgespannten Erwartungen der Musiker wurden also ein wenig enttäuscht. Von einem Sujet kann ebenso wenig die Rede sein, wie von einer Handlung. Zwei junge Mädchen, eine Naive und eine Sentimentale, die aus dem heimatlichen Ohio in die Wonderful Town, nach New York, kommen, um hier einen Job zu suchen: das ist der dünne Faden, an dem 13 kabarett- und revueartige Szenen aufgefädelt sind. Sie'“spielen in den Straßen der großen Stadt, im Künstlerviertel „Greenwich Village“, dem Montmartre von New York, im Studio eines avantgardistischen Malers, in einer Redaktion, im Marinehafen, im Polizeigefängnis und in einem Swing-Club. In allen Szenen arbeitete die Regie virtuos mit Wandeldekorationen, Lichteffekten, Projektionen und Versatzstücken. Auf diesem Gebiet schienen die Phantasie und die Erfindung der Produzenten unerschöpflich zu sein, und allein, um das zu sehen, lohnt ein Besuch der Aufführung. Kaum weniger glänzend war die Besetzung mit erstklassigen Kräften: mit Ulla Sallert aus Schweden, Olive Moor-field aus Pittsburg, Hubert Dilworth vom „Porgy and Bess“-Ensemble, Bruce Low aus Niederländisch-Guayana, Siegfried Arno aus Hamburg, Mario del Marius aus Neapel und dem Ensemble der Sänger und Tänzer unter der Leitung von Dia Luca von der Wiener Volksoper. — Das Verzeichnis der Autoren und Produzenten enthält, ähnlich dem Vorspann eines Tonfilms, zwölf Namen. Nennen wir wenigstens den des ausgezeichneten Regisseurs: Heinz Rosen, des musikalischen Leiters Dalibor Brazda, des Bühnenbildners Walter Hoesslin und der Kostümzeichnerin Alice Maria Schlesinger. Für die Gesamtleitung, die deutschen Buch- und Gesangtexte zeichnet Doktor Marcel P r a v y, der unermüdliche Fürsprecher und Spezialist des Musicals, dessen Initiative wir diese glänzende Aufführung zu danken haben und der das neue Genre an der Volksoper mit unzweideutigem Erfolg durchgesetzt hat.

Die „After Dinaer Opera Compan y“, 1949 gegründet und durch zahlreiche Gastspiele in Amerika und Europa, durch Schallplattenaufnahmen und Fernsehsendungen berühmt geworden, ist wohl das kleinste Opernensemble der Welt. Es besteht aus drei ausgezeichneten Sängern (Jeanne Beauvais, Sopran, Norman Myryik, Tenor, und Francis Bernhard, Baßbariton), zwei Pianisten, drei Bühnenbildnern und dem künstlerischen Leiter Richard Stuart Flusser. Die Von dieser Operngruppe gezeigten Werke sind im Original für kleines Ensemble geschrieben (es handelt sich also nicht um Adaptierungen); lediglich' der- Orchesterpart der Begleitung wird auf- Klavier zu vier Händen übertragen, , Wir. sahen ..im Amerika-Haus-, Sttjdio drei dieser Miniaturwerke: „In einem Garten“,. ein-Spiel unter drei Kindern von Gertrude Stein mit einer etwas konventionellen Musik ä la Menotti von Meyer-Kupfermann, „Der Ftttnjp f “, nach dem bekannten Märchen der Brüder Grimm (lieber Programmredakteur, bitte nicht „Gebrüder“ Grimm), sehr apart in Musik gesetzt von Theodor Chandler, und „D i e süße Betsyaus Pike“, eine drastisch-komische Persiflage der Wildwestfilme mit einer entsprechenden „hochdramatischen“ Jazzmusik von Mark Bucci. — Unter den Textdichtern ist kein Jean Cocteau und unter den Komponisten kein neuer Milhaud oder Honegger. Die Sujets erscheinen uns kindlich und naiv; vielleicht sind sie echt amerikanisch. Ausgezeichnet dagegen ist die Darbietung durch die drei genannten Solisten, die einfach alles können: Spielen, Singen, Tanzen, Parodieren und — Sprechen, was bekanntlich bei Opernsängern keine Selbstverständlichkeit ist.

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